Sie zählt zu den reichsten und vielfältigsten des alpinen Raumes und hat sich im Laufe der Geschichte weiterentwickelt.
Volkstrachten stehen wieder hoch im Kurs, wobei die Vielfalt der Südtiroler Trachten so groß ist wie die Vielfalt der Tal- und Ortschaften. Die alten Trachten sind ein Spiegelbild der Südtiroler Kultur und unterscheiden sich je nach Gebiet in den Macharten und Farben. Vor allem Musikkapellen, Schützenkompanien, Volkstanzgruppen, Trachtenvereine und Kirchenchöre tragen ihre Trachten mit Stolz zu feierlichen religiösen Anlässen sowie bei verschiedenen öffentlichen Auftritten. Zudem sind die Bäuerinnen-Organisationen sehr bestrebt, die Trachtentradition wiederzubeleben und durch besondere Initiativen und eigene Trachten-Nähkurse zu fördern. Doch was versteht man unter einer echten Tracht? Wie ist sie entstanden, und welche Bedeutung hat sie einerseits für die heimische Bevölkerung und andererseits für den Fremdenverkehr?
Wir haben mit dem Historiker Dr. Helmut Rizzolli gesprochen. Als Obmann des Bozner Heimatschutz-Vereins und der Arbeitsgruppe „Unsere Tracht“ beschäftigte er sich jahrzehntelang eingehend mit der bekleidungsgeschichtlichen Erforschung der Tiroler Volkstrachten und gilt als der Fachmann für die Wiederbelebung der Südtiroler Trachten. Er veröffentlichte nicht nur zahlreiche Publikationen über die Tiroler Volkstrachten, sondern berät heute noch Vereine bezüglich der Herstellung und Pflege originalgetreuer Trachten.
Herr Rizzolli, können Sie uns sagen, ab wann Trachten in Südtirol offiziell erwähnt bzw. dokumentiert worden sind?
Die Entstehung der Südtiroler Trachten dürfte auf das 18. Jahrhundert zurückgehen, wobei die Tracht als typisches Alltags- und Festtagsgewand der bäuerlichen Bevölkerung entstanden ist. Im Winter, wenn die bäuerliche Arbeit im Freien ruhte, stickten, strickten oder nähten die Bäuerinnen in ihrer Stube. Dabei entstanden regelrechte Kunstwerke. Während der konziliären Epoche gestatteten die Kleiderordnungen der Tiroler Landesordnung von 1573 den Bauern nur das Tragen hausgemachten Lodens oder Filzes und untersagten diesen den Gebrauch von „Luxustextilien“. Adelige und Bürgerliche durften hingegen schon damals Samt und Seide tragen. Erst unter Maria Theresia wurden diese Kleiderordnungen nicht wieder erneuert und die sogenannten niedrigen Stände durften wieder anziehen, was sie wollten. In jenen Zeiten entwickelte sich innerhalb der Pfarreien, den Dörfern und Talschaften eine richtige „Bauernmode“, welche die Tiefe der Religiosität, die Verbundenheit zum Land Tirol und dessen Traditionen und Bräuchen nach außen hin unterstrich.
Mit der Trachtenfibel, die Sie vor rund 10 Jahren veröffentlicht haben, gaben Sie einen Leitfaden zum Tragen der Trachten, und was dabei zu beachten ist, heraus?
Das stimmt, weil in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel Unsicherheit im Zusammenhang mit der Originalität der Trachten bestanden hat. Meines Erachtens versteht man unter Tracht jene Kleidung, die mehr oder weniger einheitlich von unseren bäuerlichen bzw. bürgerlichen Ahnen „getragen“ wurde (das Wort Tracht kommt vom tragen) und bereits damals von den geografischen und sozialen Besonderheiten abhängig war. Im Gegensatz zur normalen Modekleidung änderten sich die bäuerlichen Volkstrachten im Laufe der Zeit nur wenig. Die örtliche Aufmachung der Trachten ist eng mit verschiedenen Accessoires verbunden, auf die mit Beginn des 19. Jahrhunderts besonders viel Wert gelegt wurde.
Kann man feststellen, wie viele verschiedene Trachten es in Südtirol gibt?
Nein, denn eine solche Erhebung dürfte kaum möglich sein. Vor 1850 gab es beinahe in jedem Tal, Ort, Gericht oder Pfarrei eine eigene Tracht, eine eigene Besonderheit des Tragens. Zudem gibt es nicht nur Werktagstrachten, sondern auch Festtagstrachten, die sich oft nur in Kleinigkeiten voneinander unterscheiden. Erst allmählich hat diese „Kleinräumigkeit“ nachgelassen, und die Trachtenlandschaften haben sich langsam wieder zurückgebildet. Während die Werktagstracht einfach und unauffällig war, wurde die Festtagstracht aus ausgewählten Stoffen hergestellt und sollte das Festliche unterstreichen. Dazu zählen heute noch Blusen aus handgeklöppelter Spitze, handgestickte oder gemusterte Seidentücher oder Schürzen, Federkielbestickte Schuhe und Gürtel, kunstvoll angefertigte Kopfbedeckungen und wertvolles Zubehör wie Spangen, Haarnadeln und Stutzen. Das Gesamtbild einer Tracht wird zudem von der Frisur der Trägerin beeinflusst.
Nach welchen Kriterien würden Sie die Trachten unterscheiden?
Meines Erachtens kann man zwischen drei Hauptarten von Trachten unterscheiden: Abgekommene Trachten, die seinerzeit entstanden sind, aber heute nicht mehr getragen werden. Gewachsene Trachten, die sich aus alten Trachten entwickelt haben, wie jene des Sarntales, des Burggrafenamtes oder der Dörfer unterhalb des Schlerns. Erneuerte Trachten, die vor allem in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und während der Optionszeit entstanden sind und oftmals auch als Optionstrachten betitelt wurden. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts versuchten verschiedene Personen rund um Gertrud Pesendorfer (Leiterin der Mittelstelle Deutsche Tracht am Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck), die Tiroler Tracht wieder neu zu beleben. Weil die Trachten in jener Zeit zusehends verschwanden oder eine Vereinheitlichung erfuhren, wurden Unterlagen, Informationen und alte Trachten gesammelt und zu einer „neuen Tracht“, die an die neuen Lebensbedingungen angepasst war, adaptiert bzw. umgeändert. Die richtigen (alten) Volkstrachten weisen ein besonderes Lokalkolorit auf. Besondere Stoffschnitte, Farbkombinationen und die spezifische Ausstattung haben ganz bestimmte Merkmale, anhand derer man den Träger oder die Trägerin der Tracht eindeutig einer Region, einem Landesteil oder gar einer sozialen Schicht zuordnen kann. Die „alte Volkstracht“ erfuhr nur langsame und bescheidene Veränderungen, aber auch sie änderte sich allmählich. In vielen Ortschaften überleben die althergebrachten Trachten zum Teil auch dank Veranstaltungen, die von verschiedenen Vereinen organisiert werden. Die Trachtenmode hingegen nimmt Anleihen aus unseren Trachten, aber auch aus verschiedenen Regionen wie aus Bayern, Österreich oder Ungarn. Diese Modekleidung verändert sich schnell. Dazu gehören die vielen bunten Dirndln von der Stange, die weitaus billiger sind, weil sie aus einfacheren Stoffen bestehen und auch in „Billigländern“ hergestellt werden. Dirndln geben sich naturnah, bäuerlich und ländlich und sind erst Ende des 19. Jahrhunderts entstanden.
Welche Materialien werden für die Herstellung der alten Trachten bevorzugt verwendet?
Für die Herstellung der traditionellen Trachten kommen besonders Loden, Wolltücher, Filze, Leinen- und Baumwollstoffe, Samt, aber auch Seiden- sowie Brokatstoffe zum Einsatz. Auch, wenn heute ein großer Teil der Verarbeitung durch Näh- und Stickmaschinen erleichtert wird, wird ein Großteil von geschickten und erfahrenen Händen in geduldiger Handarbeit durchgeführt, sodass jedes Einzelstück ein handwerkliches Meisterstück ist. Zu einer Tracht gehören die unterschiedlichsten Accessoires wie Schals, Breitgürtel und Schuhe mit und ohne Federkielstickereien und Kopfbedeckungen.
Sie sind Obmann der Arbeitsgruppe „Unsere Tracht“. Für wen sind die Informationen Ihrer Arbeitsgruppe gedacht?
Wir Trachtenpfleger haben es uns zur Aufgabe gemacht, den Trachtenursprüngen nachzugehen, um überlieferte Farben und Formen in tragbarer Weise umzusetzen.
Der Echtheitscharakter der Trachten sollte auf jeden Fall bewahrt bleiben. Voraussetzung für originale Trachten sind zudem eine solide handwerkliche Ausfertigung durch spezialisierte Schneider/Innen und die Verwendung von besten Materialien. Als Anlaufstelle für alle Fragen zum Trachtenwesen bietet die Arbeitsgruppe „Unsere Tracht“ kostenlose Hilfestellung bei Nachforschungen und Beratungen für Vereine und Personen und kann über die Homepage www.unsere-tracht.info kontaktiert werden.
von Wilfried Mayr