Unsere stärkste Waffe für eine bessere Welt ist Bildung. Sie ist elementar für die Entwicklung einer Gesellschaft und ihre wichtigste Ressource. In Südtirol gibt es seit 1983 sogenannte Bildungsausschüsse. 136 sind es insgesamt im ganzen Land, 22 davon gibt es allein im Burggrafenamt.
Vielleicht liegt darin das Geheimnis unseres Erfolgs. Seit nunmehr 35 Jahren sind die Bildungsausschüsse eine nicht mehr wegzudenkende Größe im Dorfleben. Lebenslanges Lernen wird hier gepflegt, vielfältige Initiativen und die Vernetzung von Bildungsangeboten werden gefördert und die Gemeinschaft im Dorf gestärkt. „Wir werden für diese Form der Dorfbildung weitum beneidet“, sagt Markus Breitenberger. Er ist Leiter der Servicestelle für das Burggrafenamt, betreut, berät und vernetzt im Auftrag des Amtes für Weiterbildung seit nun mehr als 10 Jahren die 22 Bildungsausschüsse im Bezirk.
Dass für die Förderung von Dorfbildung bereits in den 1980er Jahren ein eigenes Landesgesetz gemacht wurde, beweist Weitblick. Das LG Nr. 41 vom 7. November 1983 regelt die Förderung, Zusammensetzung und Aufgaben der Bildungsausschüsse. Sie werden vom Land in Form einer Quote pro Einwohner gefördert, auch Basisförderung genannt. Hubert Bertoluzza leitet das Landesamt für Weiterbildung. Hier laufen die Fäden zusammen. Unterstützung gibt es für Investitionen, Mitarbeiterausbildung, vor allem aber für Projekte. „Klar gesetzliche Rahmenbedingungen ermöglichen und regeln die ehrenamtliche Tätigkeit der Bildungsausschüsse“, heißt es in der Broschüre des Amtes für Weiterbildung zu den Bildungsausschüssen. Ihre Zusammensetzung ist nicht willkürlich. Ein Bildungsausschuss ist eine Art Arbeitsgemeinschaft der Vereine im Dorf mit dem Ziel, Bildung auf Gemeindeebene voranzutreiben. Daher besteht jeder Bildungsausschuss aus Vertretern von Vereinen, Bürgern und jeweils einem Vertreter der Schule, der Bibliothek und des Gemeinderates.
„In erster Linie geht es darum, den Bedarf an Weiterbildung festzustellen und die verschiedenen Angebote im Dorf zu koordinieren, aber auch Weiterbildungsveranstaltungen entweder in Zusammenarbeit mit Vereinen oder auch eigenständig zu organisieren“, erklärt Markus Breitenberger die Rolle der Bildungsausschüsse. Neben ihrer Vernetzungs- und Koordinierungstätigkeit organisieren sie spannende Dorf-Bildungs-Projekte und Aktionen. „Reichlich ehrenamtliches Kapital ist unterwegs in Südtirol. Hunderte Freiwillige sorgen Tag und Nacht für einen frischen Wind in den Dörfern“, freut sich Markus Breitenberger.
Eine Auswahl von Dorfprojekten 2018
In Lana dreht sich heuer alles um die „Wilden Jahre“. 1968 steht für den Höhepunkt einer gesellschaftlichen, politischen, technischen und künstlerischen Entwicklung, die von den späten 1950er bis in die 1970er Jahre reicht. Es war die Zeit, in der der Aufbruch ins Weltall stattfand, in Berlin eine Mauer errichtet wurde, antiautoritäre Erziehungsprogramme und die „Pille“ die Gesellschaft veränderten und Papst Johannes XXIII. ein Konzil einberief. Gegen den Krieg in Vietnam riefen die Beatles mit ihrem Song „Make love, not war“ auf. In Südtirol explodierten Bomben und 1972 gab es ein neues Autonomiestatut. Nicht nur der Obst- und Weinanbau, sondern auch der Tourismus trat einen wirtschaftlichen Höhenflug an.
„Mitanonder im Dorf“ heißt es in Naturns. Die Marktgemeinde sieht sich mit den Entwicklungen der heutigen Zeit konfrontiert. Das Dorf wird bunter, multikultureller und gemischter. Der Bildungsausschuss legt daher den Schwerpunkt auf das vielfarbige und tolerante Zusammenleben. Beim „Mitanonder frühstücken“ gibt es Gelegenheit, fair gehandelte Produkte kennen zu lernen, Vertretern verschiedener Religionen und Nationalitäten zu begegnen und sich interkulturell auszutauschen. Über das ganze Jahr folgen ein gemeinsames Erntedankfest, die Theateraufführung „Gruß vom Pluralus“, Märchen-Wanderungen in verschiednen Sprachen, Begegnungsmomente rund um Erntedank sowie die Herbergsuche zu Weihnachten.
„Plapperstuan“ und Plätze begreifen in Dorf Tirol: Hierbei geht es um die Sensibilisierung für besondere Plätze im Dorf. Zunächst konzentriert sich der Bildungsausschuss auf die Plätze „Haberle“ und „Plapperstuan“. Theater, Literatur, Historisches, Kulinarisches und Soziales stehen im Fokus. Ziel ist es, auf diese Plätze aufmerksam zu machen, deren Namen auf den Grund zu gehen, Jung und Alt zusammenzuführen, Vereine zu vernetzen und die Plätze mit einem bleibenden Objekt zu versehen.
Der Bildungsausschuss Schenna befasst sich mit Dorfpersönlichkeiten. Zunächst geht es um Hans Pircher, Pfarrer, Theaterautor, Gesellschaftskritiker. 2019 jährt sich sein 20. Todestag. Viele Schenner kennen Pfarrer Hans Pircher aus ihrer Kindheit und verbinden Geschichten und Erlebnisse mit seiner Person. Wenige aber wissen von seinem zeitkritischen und vorausschauenden Zugang zu verschiedensten Themen seiner Zeit. Hans Pircher hat schon vor mehr als 30 Jahren historische und gesellschaftskritische Themen aufgegriffen, wie etwa die Drogenproblematik, den Verkehr, die Zuwanderung. Er hat diese Themen in zahlreichen Theaterstücken verarbeitet und mit heimischen Akteuren auf die Bühne gebracht. Der Bildungsausschuss möchte nun in Kooperation mit Vereinen und Zeitzeugen dem Leben und Werk von Hans Pircher wieder Sichtbarkeit verschaffen und dabei Impulse zum Weiterdenken setzen.
Die Aufarbeitung der Dorf- und Kirchengeschichte von Stuls steht heuer beim Bildungsausschuss Moos im Vordergrund. Aufbauend auf die Recherche des amerikanischen Studenten Philipp Katz, der in den 1970er Jahren nahezu ein Jahr lang im Bergdorf Stuls verbracht hat, gibt es im Laufe des Jahres Kurzfilme, Erzählkreise, Kirchenführungen, die Herausgabe einer Broschüre, eine Malwerkstatt für Grundschüler mit dem Künstler Stefan Fabi und eine daraus folgende Ausstellung sowie ein Zusammentreffen mit Philipp Katz nach fast 50 Jahren.
Oral History in Proveis: „Drzeilt und augschriebn“ heißt das heurige Projekt des Bildungsausschusses Proveis. Unter Leitung von Lena Adami werden Geschichten und Gedanken von älteren Menschen des Dorfes zunächst im Rahmen einer Schreibwerkstatt ausgegraben und in einem zweiten Schritt aufgeschrieben. Ein wichtiges Zeugnis für die junge und zukünftige Generation.
Marling würdigt Maridl Innerhofer. Ein Steig wird nach der Schriftstellerin Maridl Innerhofer benannt. Die „Marlinger Messe“ wird uraufgeführt und eine Maridl-Innerhofer-Biografie präsentiert.
Norbert-Conrad-Kaser-Klassentreffen in Vernuer, Flaas und Laas: N.C. Kaser hatte in der Zeit von 1967 bis 1976 an mehreren Südtiroler Schulen unterrichtet. Unter anderem war er in Laas, Vernuer (Riffian) und Flaas (Jenesien) tätig. Viele seiner Werke entstanden in diesen Jahren. Am 21. August 2018 jährt sich sein 40. Todestag.
Die drei Bildungsausschüsse Riffian-Kuens, Jenesien und Laas haben sich zusammengeschlossen, um sich gemeinsam des bekannten Südtiroler Schriftstellers zu erinnern. In Vernuer, Flaas und Laas finden „Klassentreffen“ mit ehemaligen Schülern Kasers statt. Geschichten, Erinnerungen, Anekdoten werden aufgezeichnet bzw. aufgenommen. Geplant ist auch die Publikation von drei „Klassentreffen-Heften“.
„Ein Dorf lebt und sucht seine Geschichte“, heißt es in Gargazon. In den letzten drei Jahren organisierte der Bildungsausschuss Erzählkreise und Interviews mit Zeitzeugen. Abschluss ist nun die Publikation „Gargazon, ein Dorf lebt und sucht seine Geschichte“, die heuer herauskommen soll.
Der Bildungsausschuss von St. Pankraz „denkt weiter“, auch im Jahr 2018. Das Zweijahresprojekt wird heuer beendet. Ethik, Solidarität, Humanismus, Offenheit, Toleranz gegenüber Mitmenschen, Ökologie usw. sind Schlagworte und Inhalte verschiedener Veranstaltungen.
Drei Fragen…
an Dr. Markus Breitenberger, Erwachsenenbildner und Leiter der Servicestelle Weiterbildung im Bezirk Burggrafenamt.
BAZ: Sie koordinieren seit 10 Jahren die 22 Bildungsausschüsse im Burggrafenamt. Warum braucht es sie überhaupt?
Markus Breitenberger: Das Landesgesetz zur Förderung der Dorfbildung gibt es schon seit 1983. Die Bildungspolitik bewies damals großen Weitblick, denn sie ermöglichte unseren Dörfern Entwicklung und Zugang zu Bildung. Was in den vergangenen Jahrzehnten im ländlichen Raum so alles auf die Beine gestellt wurde, ist beeindruckend. Die Bildungsausschüsse haben dabei eine zentrale Vermittlerrolle gespielt und fungierten zugleich auch als Ideengeber und Initiator zahlreicher Veranstaltungen und Projekte.
Wie erleben Sie Ihre Arbeit als Koordinator?
Sehr spannend und herausfordernd. Die Angebote, die in den Bildungsausschüssen entwickelt werden, zeugen von hoher Professionalität und Kreativität. Es ist beeindruckend zu erleben, wie neue Ideen und Formen der Vermittlung geboren werden, und das nicht nur in den bereits erfahrenen und älteren Bildungsausschüssen von St. Leonhard, Algund, St. Martin, St. Pankraz-Ulten oder Lana, sondern auch in den jüngeren wie Partschins, Burgstall, Gargazon oder St. Felix.
Und wie geht es weiter?
Man muss heute nicht mehr in die Stadt fahren, um ein gutes Bildungsangebot zu finden. Die großartigen Projekte und Veranstaltungen der Bildungsausschüsse können sich sehen lassen und haben zu lebendigen Dorfgemeinschaften geführt. Das ist zu bewahren und wertzuschätzen.
von Josef Prantl