Das Tragen einer Tracht ist in Südtirol fester Bestandteil der Kultur und Ausdruck gelebter Tradition.
ODie Trachtenvielfalt Südtirols ist in Italien eine Besonderheit und zählt vorrangig zum Kulturgut der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung. Der Ursprung unserer Trachten reicht viele Jahrhunderte zurück und hat sich je nach Tal- und Ortschaften verschiedenartig entwickelt. Dabei sind es oft nur kleine Details wie Stoffarten oder Zubehör, welche einzelne Trachten unterscheiden und sie so einzigartig machen.
Wie die Geschäftsführerin Andrea Maria Tratter von dem seit 120 Jahren bestehenden Trachtenfachgeschäft Runggaldier in Meran bemerkt, unterscheiden wir heute zwischen den traditionellen Trachten, die vorrangig von Volkstanzgruppen, Musikkapellen, Schützen und Marketenderinnen, aber auch von Chören und Brauchtumsgruppen getragen werden, und der „trachtigen Mode“, die weitaus preisgünstiger und modeabhängiger ist und gerne von der jüngeren Generation auf Wiesen- und Oktoberfesten sowie zu anderen Festlichkeiten getragen wird.
Bei den Volkstrachten unterscheiden wir zwischen einer Werktags- und einer Festtagstracht. Während erstere preisgünstiger und etwas einfacher ist, wird die Festtagstracht aus ausgewählten Stoffen hergestellt wie Blusen aus handgeklöppelter Spitze, handgestickten oder gemusterten Seidentüchln oder Schürzen, Federkiel bestickten Schuhen und kunstvoll angefertigten Kopfbedeckungen und durch wertvolles Zubehör wie Spangen, Haarnadeln, Gürtel und Stutzen geziert. Je nach Gegend spielt auch die Haartracht eine besondere Rolle. Diese festlichen Trachten sind Maßarbeiten und kleine Kunstwerke.
Meist wird die Festtagstracht nur zu bestimmten Anlässen wie an Feiertagen, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen oder anderen traditionsreichen Tagen getragen.
Für die Herstellung der traditionellen Trachten kommen besonders Loden, Wolltücher, Filze, Leinen und Baumwollstoffe zum Einsatz. Auch wenn heute ein großer Teil der Verarbeitung durch Näh- und Stickmaschinen erleichtert wird, wird ein Großteil der Tätigkeit von geschickten und erfahrenen Händen in geduldiger Handarbeit gemacht. Wie Frau Tratter bestätigt, werden die einzelnen Trachten in der eigenen Maßschneiderei hergestellt, während Dirndln und „trachtige Modeartikel“ vermehrt in Österreich und Süddeutschland hergestellt werden. In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich im Alpenraum eine eigene Bekleidungsindustrie, die sich auf Dirndl- und Trachtenmode spezialisiert hat. Einige Elemente wie die Miederform, die Bluse mit Spitzen und Pufferärmeln, der Rock und der Schurz wurden aus der Frauentracht übernommen. Die Herren-Trachtenmode ist der Mode weitaus weniger ausgesetzt. Lederhosen erleben allerdings eine Renaissance. Lange und kurze Lederhosen werden nur noch zu bestimmten Anlässen und Auftritten getragen, wobei deren Herstellung hauptsächlich aus Wildbock- und Hirschleder erfolgt.
Dirndln sind leichtere Kleider für den Alltag. Sprachlich gesehen ist „Dirndl“ eine Verkleinerungsform von Dirn bzw. Dirne, womit auch heute noch ein junges Mädchen bezeichnet wird. Das moderne Dirndl, in modischen Farben und Design, wie man sie in Trachtenstuben zu kaufen bekommt, haben mit der ursprünglichen Tracht, welche zeitloses Design hatte und mit den traditionellen Farben die Verbundenheit zur eigenen Region bekundete, nicht viel gemeinsam.
Da immer öfter junge Südtiroler Originaltrachten ihrer Eltern und Großeltern zum Aufrichten in die Trachtenschneidereien bringen, darf man hoffen, dass das Tragen unserer Trachten noch lange nicht ausgedient hat und weiterhin zur Pflege unseres Heimatbewusstseins beiträgt.
von Wilfried Mayr