Ein T-Shirt kostet oft nicht viel mehr als ein Macchiato und eine Hose so viel wie ein Kinoticket. Wie kann das sein? Fast Food ist uns ein Begriff, Fast Fashion ist weniger geläufig. Dabei stecken wir mittendrin.
Pünktlich zu Jahresbeginn locken die Geschäfte mit Sonderangeboten. Bis zu 70 % Preisnachlass versprechen die Schaufenster. Vor allem Kleidung und Schuhe stehen auf der Liste der Schnäppchenjäger ganz oben.
Jedes Jahr kaufen wir Europäer mehrere Tonnen Textilien und genauso viele bleiben in den Geschäften liegen. Die Textilindustrie produziert immer mehr, viel mehr als tatsächlich gebraucht wird. Ständig werden neue Kollektionen herausgebracht. Schone lange gibt es nicht mehr nur die Winter- und Sommerkollektion. 60 Kleidungsstücke kauft der Durchschnittseuropäer im Jahr. Wir geben mehr Geld für Mode aus als für unsere Gesundheit. 100 Milliarden Kleidungsstücke werden weltweit jedes Jahr produziert. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Bekleidungsproduktion mehr als verdoppelt. Angeführt wird der Fast-Fashion-Markt vom schwedischen Riesen H&M mit einem Jahresumsatz von über 20 Milliarden US-Dollar, Inditex (Zara) setzt inzwischen fast genauso viel um. 2030 wird die Weltbevölkerung jedes Jahr unvorstellbare 102 Millionen Tonnen Kleidungsstücke verbrauchen – eine Menge, die 500 Milliarden T-Shirts entspricht. Die Textilindustrie spielt jährlich 1,3 Billionen US-Dollar ein. H&M-Chef Karl-Johan Persson und Zara-Gründer Amancio Ortega zählen zu den reichsten Menschen der Welt – mit billiger Mode lässt sich viel verdienen. Eine Wegwerfindustrie ist entstanden auf Kosten von Millionen ausgebeuteten Billigarbeitern in Fernost und auf Kosten der Umwelt. Einmal getragen, dann weggeworfen! Im Durchschnitt tragen wir ein Kleidungsstück ganze vier Mal, bevor wir es aussortieren.
Verschwendung ist kein Kavaliersdelikt
Unverkaufte Ware in den Geschäften wird nicht an Bedürftige verschenkt, sondern verbrannt oder zerrissen. Frankreich will das zwar jetzt verbieten, ist damit in Europa aber noch allein unterwegs. Für Luxushersteller ist es unvorstellbar, Kleider zu verschenken. Da geht es um den guten Ruf. Das Kleidungsstück ist zum alltäglichen Konsumgut geworden. Auch wenn wir es eigentlich wissen, unser Konsumverhalten ist nicht tragbar. Wir ändern aber wenig daran. Was steckt hinter diesem Kaufrausch?
Unser Konsum kostet Menschenleben
Die Spuren der Billigtextilien, aber auch der meisten Luxusartikel führen nach Asien. Vor allem in China und Bangladesch werden sie hergestellt. Soziale Standards oder Umweltauflagen gibt es dort kaum. In Bangladesch gibt es rund 6000 Textilfabriken. Fast alle europäischen Labels lassen hier produzieren, Markenkleider oft genäht in Bruchbuden. Die Bedingungen sind zum Teil lebensgefährlich. Als 2013 die Textilfabrik Rana Plaza in Sabhar einstürzte und 1135 Menschen begrub, gab es zwar weltweit einen Aufschrei gegen die unmenschlichen Bedingungen, die in den Textilfabriken herrschen, aber das ist längst wieder vergessen. Bilder von Näherinnen am Rande der Erschöpfung: Schattenseiten eines glänzenden Geschäfts. Die Produzenten als Sündenböcke darzustellen, wäre allerdings etwas zu einfach. Die Textilindustrie gilt in vielen Entwicklungsländern als Pionierindustrie, die andere Wirtschaftsunternehmen nach sich zieht, also auch dazu beiträgt, dass sich der Lebensstandard langsam hebt. Andererseits hat sich die Situation der Textilproduktion in Europa verändert. Es gibt kaum noch Webereien und Schneidereien.
Desaster für die Umwelt
Neben den ökonomischen Auswirkungen hat der Massenkonsum auch ökologische Folgen. Er schädigt Umwelt und Mensch nachhaltig: Vom Pestizid belasteten Rohstoff wie der Baumwolle über den Verbrauch von Wasser und den Einsatz von Chemikalien bei der Produktion bis hin zur toxischen Veredelung von Kleidung. Ein paar Daten: Über 70 % unserer Kleidung besteht aus billigen Synthetikfasern. Beim Waschen gelangen kleine Teile in Abwässer und Meere. Die Stoffe sind nur schwer zu recyceln, denn die Fasern eignen sich nicht zur Herstellung neuer Kleidung. Aber auch die Ökobilanz eines Baumwoll-T-Shirts ist verheerend. Um ein Kilo Baumwolle herzustellen, werden rund 15.000 Liter Wasser benötigt! Auf ein T-Shirt gerechnet macht das 22.500 Liter. Dazu kommt ein Kilo umweltschädlicher Chemikalien, die für die Herstellung benötigt werden, und acht bis neun Kilo CO2 für Produktion und Wäsche eines T-Shirts. Es ist rund 20.000 Kilometer unterwegs, bis es zu uns in den Kleiderschrank kommt. Eine Arbeiterin in Fernost verdient gerade einmal 18 Cent für ein Kleidungsstück, das wir für 25 Euro in den Läden kaufen. Noch nie wurde so kompromisslos auf den niedrigsten Preis gesetzt – mit aktuellen Modetrends und ständig wechselndem Sortiment: Längst haben wir uns daran gewöhnt, alle paar Tage neue Lieferungen in den Geschäften zu finden. Zara bringt zum Beispiel 24 neue Kollektionen pro Jahr in die Läden, H&M zwischen 12 und 16. Die schnelllebigen Trends gibt es außerdem zum Schnäppchenpreis. Der Begriff Fast Fashion bezieht sich vor allem auf diese stark erhöhte Zahl von Kollektionen.
Warum dieser Konsumrausch?
Wir konsumieren tagtäglich Sachen, die nicht sein müssten. Bei unseren Ausreden sind wir fantasievoll: Weil wir bequem sind. Weil wir glauben, sie zu brauchen. Weil unsere Freunde sie auch haben. Coffee to go, Kaffee aus der Kapsel, wieder ein neues Smartphone. Mit dem Auto in die Stadt, weil es nach Regen aussieht. Im Sommer nach Neuseeland, im Herbst auf die Azoren. Die Tomaten sehen schrumpelig aus, schmeiß ich lieber weg. Sollen wir Pizza bestellen? Ich hatte zwar gerade gestern Steak, aber egal, das habe ich mir jetzt verdient. Ob Mobilität, Billigkleidung aus Drittweltländern oder Fleisch aus Massentierhaltung – wir leben auf Kosten anderer. Wie sagte schon der griechische Philosoph Epikur: „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.“
Bewusst einkaufen und hinterfragen
In der Meraner Andreas-Hofer-Straße gibt es seit September 2001 den Second-Hand-Shop „GEKKO“, der von den Sozialdiensten der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt betrieben wird. Zielsetzung dieser Einrichtung ist die Wiedereingliederung von Menschen mit Beeinträchtigung und in psychischer Notlage in den Arbeitsmarkt.
„Gekko“ sammelt und verkauft nicht nur gut erhaltene Kleider, sondern führt auch eine eigene Wäscherei und Büglerei. Außerdem werden kleine Ausbesserungsarbeiten der Kleider gemacht und eigene Produkte hauptsächlich aus recyceltem Material hergestellt. Die 12 „Gekko“-Trainingsteilnehmerinnen werden professionell begleitet und erhalten eine berufliche Vorbereitung mit dem Ziel der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Im „Gekko“ wird Kleidung und Zubehör für Erwachsene und Jugendliche angeboten. Das Angebot reicht von sportlicher bis eleganter Kleidung über eine Schmuckecke, Hüte, Schuhe bis zum Wintermantel. Die Ware stammt sowohl von Privatpersonen als auch von einigen Konfektionsgeschäften, die ihre Überschüsse an „Gekko“ weiterreichen.
Ein Gespräch mit dem Gekko-Team über „Fast Fashion“ und was wir tun können, um beim Einkauf von Kleidern bewusster zu handeln.
Unsere Kleiderschränke quillen über. Wie beurteilen Sie den Trend zum Fast Fashion?
Gekko-Team: Die Angebote von Billiganbietern sind in den letzten Jahren rasant gestiegen. Deshalb neigen Menschen, vor allem die wenig Geld zur Verfügung haben dazu, günstige, jedoch viel Kleidung zu kaufen. Früher wurde mehr auf Qualität geachtet, nicht auf Quantität.
Wie gerecht ist unsere Kleidung?
Die gesamte Kette der Herstellung von Kleidungsstücken unterliegt der Ausbeutung, angefangen beim Bauern, der die Faser anbaut, über die Vermarktung der Kleider bis hin zum Verbraucher. Es gibt nur wenige Firmen, welche die Kleidung unter menschenwürdigeren Bedingungen herstellen lassen.
Was steckt hinter dem Moderausch, dem wir so leicht unterliegen?
Wir glauben, dass es das Bedürfnis ist schön zu sein, sich zu zeigen, mit dem Trend mitzuhalten, dazuzugehören oder sich abzuheben von der Gesellschaft. Sich zu kleiden, ist oft auch Ausdruck der eigenen Identität.
Schaden wir anderen, wenn wir Kleider zum alltäglichen Gut machen?
Ja, denn wer den Modekreislauf kennt, weiß wie viele Rohstoffe für die Textilherstellung verbraucht und wie Menschen für die Produktion ausgebeutet werden und wie sehr wir unserer Umwelt Schaden zufügen.
Geht es auch anders?
Klar, wenn Konsumenten bewusster einkaufen, wie Second-Hand-Kleidung und faire Mode, wie es sie in den Weltläden gibt.
Gibt es faire Mode, ist nachhaltige Mode möglich?
Zur Zeit ist es schwierig faire Mode zu kaufen, da es sehr wenige Anbieter gibt. Man muss gezielt danach suchen. Die Bürger und Verbraucherverbände können aber Druck machen, damit die Wirtschaftspolitik mehr Aufmerksamkeit auf diese Themen lenkt.
Sehen Sie bei der Modebranche eine Trendwende zu mehr Qualität und Nachhaltigkeit?
Vielleicht sind wir im Moment am Tiefpunkt hinsichtlich der Qualität und Nachhaltigkeit in der Modewelt angekommen, sodass die Menschen beginnen, wieder mehr in diese Richtung zu denken. Uns fällt auf, dass ein Teil der Jugendlichen vermehrt in unser Geschäft kommt und bewusst Second-Hand-Kleider und Zubehör kauft.
Diese Generation könnte den Unterschied ausmachen, auch durch berufliche Entscheidungen. In Südtirol gibt es bereits mehrere Unternehmen, welche Wollprodukte aus unserem Land herstellen.
Ist Kleidung neu kaufen überhaupt sinnvoll?
Wir sind der Meinung, wenn wir auf fairen Handel und gute Qualität achten, die Kleidung dann lange Zeit tragen und sie bei Bedarf auch reparieren lassen, macht es durchaus Sinn.
Wie sieht ein ethisch vertretbarer Kleiderschrank von morgen aus?
Kreativität ist ausschlaggebend: Anzahl an Kleidungsstücken reduzieren, zeitlose und faire Mode kaufen und diese unterschiedlich kombinieren, Second-Hand kaufen, unter Freunden tauschen.
Glauben Sie, dass „Slow Fashion“ in der von „Fast Fashion“ dominierten Welt überhaupt eine Chance hat?
In allen wirtschaftlichen Bereichen zeichnet sich ein neuer Trend „slow“ ab. Wir denken, dass also eine Möglichkeit zur Entwicklung besteht, im Sinne von mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit der Bürger, wobei das Risiko immer darin besteht, dass der Trend von den „großen“ Produzenten nach ihrem eigenen Interesse zu ihrem Verdienst geführt wird.
von Josef Prantl