Ein historisches Bauensemble mit Sonderstatus in Zentrumsnähe zwischen Cavourstraße und Sommerpromenade am Sissipark.
Es war die Zeitepoche des auslaufenden Kaiserreiches Österreich-Ungarn gegen Ende des 19. Jhs. Auf die Revolution gegen die dominierende Adelsherrschaft folgte die industrielle Evolution mit den Erfolgen des Großbürgertums. Neue Reisewege auf Schiene und Straßen erschlossen die alpine Tourismusgeschichte. Um 1870 schwärmte Kaiserin Sissi von der neueröffneten Brennerbahn, mit der sie komfortabler und vier mal schneller als mit Kutschengespannen ins Feriendomizil nach Meran reisen konnte. Mit ihr als bedeutendstem Kurgast erfuhr Meran einen beispiellosen Auftrieb als mondäner Kurort auf der Alpensüdseite. In reger Bautätigkeit entstanden um die Jahrhundertwende glanzvolle Grandhotels, vornehme Villen, elegante Promenaden. Geradezu euphorisch erlebte die Passerstadt ihre Belle Èpoque – wo die gehobene Gesellschaft mit Glamour sich selbst zu inszenieren versuchte.
Baumeister Pietro Delugan
In diesem Umfeld ist auch der Neubau des Plankenstein als luxuriöses Geschäfts- und Wohngebäude entstanden. Sein Erbauer war gleichzeitig Bauherr, Planungs-Architekt und ein genialer Impresario am Bau von Großobjekten in jener Zeit. Sein Werdegang sei hier kurz beschrieben. Bereits als Jugendlicher hatte Pietro Delugan von der Pike auf das Bauhandwerk vom Vater erlernt und es stets mit großer Hingabe ausgeführt. Die Familie stammte aus dem Fleimstal; ihr Geschick am Bau sowie ihr Arbeitsfleiß waren um die 1870er Jahre bereits bekannt und bewährt auf vielen Burggräfler Baustellen. Mit 21 Jahren drängte es Pietro zu eigener selbstständiger Verantwortung. 1876 machte er sich auf den Weg in die Schweiz, wo er in St.Gallen (Graubünden) – auch in Partnerschaft mit freien Architekten – als erfolgreicher Baumeister während 15 Jahren Aufbauarbeit seine erste Wirkungsstätte absolvierte und über 70 Häuser erbaute. Nach der Familiengründung zog es ihn zurück an seinen Heimatort Ziano di Fiemme, und 1893 erfolgte die Übersiedelung nach Meran, wo die Familie ihren neuen Wohnsitz bezog. Hier florierte der Kurgastbetrieb gerade auf Hochtouren. Für den ehrgeizigen Bauunternehmer eröffnete sich sogleich ein umfassendes Wirkungsfeld, das er mit unbändiger Schaffenskraft ausfüllte.
Meraner Villen und Paläste
In den knapp drei Jahrzehnten seiner zweiten Schaffensperiode in Meran formte Pietro Delugan sein Lebenswerk anhand von vielen eindrucksvollen Gebäuden, die bis heute das Stadtbild prägen und vielfach unter Denkmalschutz stehen. Über 50 stilvolle Ansitzbauten und Villen in diversen Stadtteilen sowie mehr als ein Dutzend Großobjekte für öffentliche und private Auftraggeber sind das Ergebnis seines Erfolgs. Als klassischer Autodidakt konnte er sich durchaus messen mit namhaften anderen Baumeistern jener Zeit von Rang und Namen. Seine Fähigkeiten als Mentor und glänzender Organisator am Bau waren außerordentlich. Sein Leistungspensum war sehr hoch, seine Wirksamkeit als Baupionier, damit seine Zuverlässigkeit waren legendär. Die Einhaltung von unglaublich kurzen Bauterminen bei komplexen Großbaustellen in der damaligen vorindustriellen Zeit – ohne Hilfe von Maschinentechnik – erscheint heute noch als herausragende Meisterleistung. Delugans Paradebauten im Burggrafenamt sind das Grandhotel Kaiserhof um 1896, das Stadttheater um 1900, Grandhotel Palace 2004 – 2006, das Kurhaus um 2012, das Postamtsgebäude, die Ratshäuser Obermais und Untermais, in Marling Schulhaus und Kirche u.v.a. Dabei blieben Strebsamkeit, Geradlinigkeit, Sparsamkeit stets oberster Leitsatz zeit seines erfüllten Lebens bis 1923.
Wohnpalast Plankenstein
Auf dem Höhepunkt des beruflichen Erfolgs erwarb Impresario Pietro Delugan um 1906 ein zentrales Bauareal gegenüber dem Palace, zwischen Cavourstraße und Winterpromenade, am früher sogenannten Valeriepark – heute Sissipark – gelegen. Die dort befindlichen Altenwohnungen der Gemeinden von Mais wurden ausgesiedelt. Es sollte dort ein repräsentativer Wohnpalast entstehen, mit Einzelgeschäften und Schanklokalen im Erdgeschoss. Delugan entschied sich in pionierhafter Eigenplanung für die Ausführung von sieben prunkvollen Häusern, die jeweils eigenständig über 4 bzw. 5 Etagen reichend, mit separaten Eingängen und Treppenfluren ausgestattet, aber horizontal aneinandergebaut das Gesamtensemble Plankenstein ergeben sollten. Ein großzügiger Korbbogen-Arkadengang über drei Häuserfronten in Gesamtlänge von 180 Metern, begrenzt von konischen Rundsäulen mit sandgestrahltem oberem Dekorationsfries unterstreicht nachdrücklich die Besonderheit des Bauwerks. Darüber liegen vornehme Terrassen vor großflächigen Rundbogen-Fenstertüren für die Bewohner der ersten Etage. Die aufwändige Fassadengestaltung über fünf Etagen bis zu den Dachgauben ist dem historisch-romantischen Stilmix Münchner Stadthäuser nachempfunden – mit klassizistischen Anleihen. Sie eint im Verbund mit dem Denkmalamt das Plankenstein nach außen.
Vollbetonteile als Bauelement
Als ein sehr mutiges Novum verwendete Delugan erstmalig Bauteile aus Betonfertigguss anstelle von teuerem Naturstein, und zwar in konsequenter Anwendung für alle Säulen, Stufen, Geländer, Gesimse am gesamten Baukörper. Jedes in Form gegossene Betonteil lässt sich nach Bedarf formen, rauh oder glatt bearbeiten, farblich absetzen – mit dem einzigartigen Gesamtbild Plankenstein Meran. Seine Innenausstattung mit Terrazzoböden, Eichenparkett und herrschaftlichen Raumhöhen über 3 Meter bewirkt ein feudales Wohnempfinden. Über 45 Besitzer teilen sich heute die meist großflächigen Wohnungen in der Häusergruppe.
Geschäfte, Studios und Gastlokale im Erdgeschoss existieren – sie würden sich von der Stadtverwaltung mehr Anbindung und Ensemblepflege für das besondere Objekt erwünschen. Im Innenhof des Plankenstein-Areals hatte Delugan 2011 das beliebte Odeonkino als ersten Kinosaal Italiens mit zur Leinwand hin abgesenktem Kinosaal erbaut. Es wurde vor etwa zwei Jahrzehnten durch einen gläsernen Bürotrakt ersetzt. Das Plankenstein birgt weitere Anekdoten: den einzigen Profi-Nachtclub im Lande mit Mitternachtsvarietè und 60-jähriger Tradition.
Was das Lido für Paris – ist La Perla für Meran – derzeit jedoch mit ungewisser Zukunft.
von Jörg Bauer