Am Bekanntheitsgrad der Kurstadt im Tourismus heute trägt ohne Zweifel die guterhaltene historische Bausubstanz ihren Anteil dazu bei. Das Hotel Europa im Stadtzentrum gehört dazu.
Vor 150 Jahren etwa erwachte das dörfliche Landstädtchen Meran und erlebte seinen Wandel zum mondänen Kurort. Während unter den Meraner Lauben noch Stallungen, Hufschmiede, Radmacher für die passierenden Pferdefuhrwerke mit Kutschen und Leiterwagen am Werk waren, änderten sich mit der Industrialisierung rasch und unaufhaltsam die Lebensumstände. Um die Mitte des 19. Jh. gab es im Burggrafenamt etwa ein Dutzend an einheimischen Gasthäusern. Dies änderte sich um ein Vielfaches innerhalb weniger Jahrzehnte.
Tourismus-Pioniere
Die Aristokratie und der damalige Geldadel aus dem gehobenen Bürgertum aller Länder bis nach Russland hatten die kleine Südalpenstadt Meran samt ihrer mittelalterlichen Tiroler Fürstengeschichte als kaiserlichen Kurort wiederentdeckt. Es galt in besserer Gesellschaft als chic, die Ferien in Meran am Südbalkon der Monarchie, wo das Mediterrane auf die hohen Berge trifft, zu verbringen. Durch den Bau der Eisenbahn um 1880 und den nachfolgenden Ausbau von Tal- und Pässestraßen für den motorisierten Verkehr kamen Besucher und Gäste in Scharen. Findige Pioniergeister des Tourismus machten sich den Aufschwung zu Nutze. Das ganzjährig milde Klima in Meran wurde in Verbindung mit heilendem Thermalwasser, mit Molke- und Traubenkuranwendungen zu therapeutischer Wirksamkeit erhoben. Um die Gästeflut zu beherbergen, brauchte es Hotels, Pensionen, Gästezimmer aller Güteklassen – dazu entsprechende touristisch/kulturelle Einrichtungen. Eine nie dagewesene Bauhochkonjunktur in Meran um die Jahrhundertwende hat diese Voraussetzungen einer pulsierenden Kurstadt in einzigartiger Weise verwirklicht – mit nachhaltiger Prägung des Stadtbildes bis in unsere Tage.
Hotel Europa Splendid
Es entstanden wahre Prachtbauten für die Luxusklientel der Kurgäste sowie vornehme Villenbauten für gehobene Wohnansprüche. Die Architektur dieser Häuser barg zumeist klassizistische Gestaltungselemente, dem Baustil des Neubarocks, des Jugendstils entlehnt – kombiniert mit dem voralpinen Baustil bayrisch/wienerischer Landhauskultur. Es ist im nachhinein immer wieder erstaunlich, mit welcher außergewöhnlichen Bravour es die damaligen Elite-Baumeister geschafft haben, diese aufwendigen historischen Bauwerke auch noch in kürzester Zeit und in ansprechender Höchstqualität zu erstellen – angesichts der damaligen vorindustriellen Mittel und handwerklichen Voraussetzungen. 1887 ist in vergleichbarer Bauart in zentralster Stadtlage gegenüber dem zeitgenössischen Stadttheaterbau das Hotel Europa erstmalig entstanden. Die Bauherren, Meraner Geschäftsleute namens Ladurner und Folie, hatten das dort befindliche Schülerheim Rediffianum von der Klosterstiftung Marienberg dafür erworben und den bekannten Baumeister Cölestin Recla mit Um- und Ausbau der Liegenschaft beauftragt. Der bestehende Gewölbekeller wurde beibehalten, über Souterrain, Hochparterre und drei Stockwerken mit innenseitigem Lichthof wurden 40 Gästezimmer mit gehobenem Service samt Speisesaal und Aufenthaltsräumen mit Jugendstilakzenten errichtet. Um 1900 wurde das Stadthotel am Theaterplatz unter Führung der Inhabertochter Karolina Ladurner um ein zentrales Kaffeerestaurant, das dem Niveau eines modernen Weltkurortes entsprechen sollte, ergänzt. Der nachfolgende Hoteleigentümer Max Schweiggl erwies sich als investitionsfreudiger Bauherr. Ein Zubau erweiterte die Kapazität des Stadthotels um weitere 30 Zimmer. Im Ergeschoss wurden mehrere Säle für gesellschaftliche Ereignisse geschaffen. Hotel Europa wurde zum vielbesuchten Rendezvous-Platz des internationalen Gästepublikums, aber auch Treffpunkt einheimischer Vereine – mit Besonderheit der saisonal geöffneten Künstlerklause (später Sphinxkeller) im Souterrain, vom Rennweg aus über eine steile Stiege zugänglich. Die Kriegsjahre brachten große Einbußen. Der tüchtige Hotelier Schweiggl musste einem Konkurs-Ausgleichsverfahren zustimmen. Als renommierter Beherbergungsbetrieb in zentralster Stadtlage konnte das Haus namens Splendid Corso Europa Hotel in der Folge die Faschisten-Kriegsjahre unter Führung einer Mailänder Gesellschaft überstehen. 1927 erfolgte sogar die bauliche Ergänzung um ein Stockwerk und die Neueröffnung der AmericanBar; obschon nie vom Militär besetzt oder zweckentfremdet, hat der Hotelbau bis zum Kriegsende doch stark gelitten.
Die Ära Strohmer
Die Rettung und Fortsetzung der Erfolge als Stadthotel par excellence erfuhr das Haus durch Alfredo Strohmer, welcher 1951 als neuer Besitzer den im Historismus erbauten Hotelbetrieb mit aufwändigen Renovierungen und Erweiterungen in den 1970er Jahren im alten Glanz neu erstrahlen ließ. Er war Sohn des österreichisch/ungarischen Pioniers Josef Strohmer, welcher als Straßenbahn-Baumeister in Rijeka wirkte und mit seiner Familie das Hotel Europa in Abazia während der 1930/40er Jahre betrieb. Dieser Familientradition folgend hat nun seit der Jahrtausendwende in 3. Generation Alfred Strohmer jun. im Europa-Splendid das Sagen. Mit Professionalität und Weitblick werden im familiengeführten Sternehotel die historisch überlieferten Aspekte wie Einrichtungsdetails gepflegt, fortwährend renoviert und mit den heute zeitgemäßen Erfordernissen als besonderes Ambiente in Einklang gebracht. Weltoffenheit und Bürgersinn sind für die Hoteliersfamilie im Herzen von Meran auch Herzensanliegen. So werden in der für jedermann offenen open space liberty lounge, dem großzügigen Straßenbistro am Hoteleingang, ganztägig und ganzjährig vom Frühstücksbuffet über Mittagsgerichte bis zum Abendaperitiv Begegnungen gepflegt – wie schon vor 100 Jahren im Hotel Europa.
Strohmer-Hotels in Meran
Seit den 1980er Jahren gehört das historische Hotel Westend an der unteren rechten Passerpromenade dazu, geführt von Alexander Strohmer. Als Villa Westend wurde es 1890 vom Bauimpresario Pietro Delugan für seinen Eigenbedarf stilvoll erbaut, mit schön gegliederter klassischer Südfassade. Das Hotel Garni Aster in Obermais wird von Schwester Gabi mit Gatten Gigi geleitet. Vorerst letztes Schmuckstück der Hoteliersfamilie ist seit 2010 das Kunst-Hotel ImperialArt mit reizvoller Jugendstilfassade gegenüber dem Kurhaus. Es beinhaltet eines der trendigsten, traditionsreichsten Tagescafés Merans.
von Jörg Bauer