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Wir sind sterblich

Der November beginnt mit dem Doppelfest Allerheiligen und Allerseelen. Wir gedenken der Verstorbenen. Ursprünglich war der 1. November jedoch kein Tag des Totengedächtnisses, sondern ein österliches Fest, an dem sich die Kirche der unbekannten Heiligen erinnerte.

Sterbenskranke Menschen brauchen Zeit sich verabschieden zu können

Eigentlicher Totengedenktag ist daher der 2. November, Allerseelen. In der katholischen Kirche wird Allerheiligen seit dem 9. Jahrhundert am 1. November gefeiert. Als Initiator des Festes gilt der mittelalterliche Theologe Alkuin. Der am 2. November begangene Allerseelentag etablierte sich – vom französischen Benediktinerkloster Cluny ausgehend – rund 200 Jahre danach. An diesem Tag wird jener Toten gedacht, die sich, so nimmt die Kirche an, in einem Reinigungszustand befinden und die volle Gemeinschaft mit Gott noch nicht erreicht haben.

„Verdammnis auf Zeit“
Das sogenannte Fegefeuer als „Verdammnis auf Zeit“ kommt weder in antiken Kulten noch in der Bibel vor. Im 13. Jahrhundert wandelte sich aber das Weltbild des Mittelalters bezüglich Zeit und Raum, Recht und Strafe, Sünde und Gnade. Die Kirche formulierte die Lehre vom Purgatorium. Das Allerseelenfest ist also eng mit dem Fegefeuerglauben verbunden. Im Gegensatz zur Hölle, die für Sünder ewige Verdammnis vorsah, stand den Geläuterten im Fegefeuer der Weg ins Paradies offen. Zuwendungen wie Gebet, Kerzenspenden oder gute Taten sollten die Qual der Armen Seelen verkürzen. Die Erlösten wiederum konnten zu Fürsprechern der Lebenden werden. So entstand ein Modell des ständigen geistigen Austauschs zwischen Lebenden und Toten, in dem die christliche Nächstenliebe einen wichtigen Platz hatte.

Halloween und Allerseelen
In den vergangenen Jahren ist allerdings auch bei uns ein Brauch aufgekommen, der den seltsamen Namen Halloween trägt. Halloween-Partys finden mittlerweile Anfang November zuhauf statt. Es bleibt die Frage, warum das amerikanische Halloween so unvermittelt in unseren Kulturkreis eingedrungen ist und sich im Herbstbrauchtum so dauerhaft festsetzen konnte. „Bräuche fallen nicht vom Himmel, sie kommen auch nicht aus der Volksseele. Sie werden erfunden, wenn man sie braucht“, sagt die Ethnologin Helga Maria Wolf. Die Globalisierung hat den dynamischen Prozess des Brauchwandels extrem beschleunigt. „Eine Wurzel des amerikanischen Festes Halloween führt eindeutig zum europäischen Armen-Seelen-Glauben des Hochmittelalters“, meint Wolf. Hier wird quasi eine uralte europäische Tradition aufgenommen, wenn auch mit stark kommerzieller Komponente.

Den Tod verdrängen
Eigentlich sind Allerheiligen und gleich darauf Allerseelen nicht unsere populärsten Feste. Weil doch – so erschreckend banal dies klingt – sie daran erinnern, dass wir alle sterben werden und sterben müssen. Tod und Sterben sind zwar keine Tabuthemen mehr in einer Gesellschaft, deren Markenzeichen gerade die vermeintliche Tabulosigkeit ist. Dass dennoch vom Tod nur wenig die Rede ist, mag auch daran liegen, dass unsere Sterblichkeit zunehmend als eine Art Skandal empfunden wird. Dass wir alle sterblich sind, hat sich rumgesprochen. Doch so richtig kön­nen wir es doch nicht glauben oder uns vorstellen.

Unverständnis für das Sterben-Müssen
Es ist also nicht so sehr die Angst, die uns umtreibt. Zumal Hölle und Fegefeuer zumeist als theologische Relikte angesehen werden. Unsere Einstellung gegenüber dem Tod ist eher gekennzeichnet von einem fast ärgerlichen Unverständnis. Wir sind kaum noch bereit, den Tod zu akzeptieren. Ein solcher verzweifelter Widerstand ist die Antwort darauf, dass wirklich nichts unverständlicher ist als das Sterben und Sterbenmüssen. Für den letzten Akt unseres Lebens können wir keine Erfahrung sammeln. Widerstand gegen den Tod zu leisten, ist nicht nur verzweifelt sinnlos, sondern auch lächerlich. Abgesehen von den Bemühungen sogenannter Transhumanisten, die ihre „Unsterblichkeit“ mit Hilfe von Technik und Medizin irgendwann erreichen wollen, träumt die Mehrheit nicht vom ewigen Leben. Es gibt subtilere Haltungen, mit denen wir uns gegen Verfall und Unvollkommenheit doch insgeheim auflehnen. Dazu gehören etwa die bioethischen Überlegungen, Therapien zuzulassen, die unsere Gene optimieren. Dazu zählen aber auch Diagnose-Verfahren, mit denen Defekte von Embryonen im Mutterleib erkannt werden können. Menschliches Leben wird als etwas Gemachtes, irgendwie Hergestelltes verstanden. Der Versuch, Menschen am Lebensanfang zu optimieren, kann nicht ohne Folgen für unser Verständnis vom Lebensende sein.

Der Tod ist keine Niederlage
Der Tod – so unbegreiflich er bleiben wird – ist keine Niederlage. Im Mittelalter haben Menschen sich dem Sterben durch den Totentanz auf eine fröhliche Art und Weise gestellt. Und in Mexiko wird im November der „Tag der Toten“ mit tanzenden Skeletten gefeiert. Der Tod als Erleichterung, manchmal als Erlösung. Die Philosophie hat einen guten Rat für uns bereit: „Um sterben zu lernen, lerne man – nach Maßgabe von Glück, Selbstachtung und moralischer Autonomie – zu leben.“

 

 

„Wir sollten über das Sterben sprechen lernen“

Barbara Plagg koordinierte die Studie zur häuslichen Pflegesituation von Palliativ­patienten in Südtirol

Wer Menschen in der letzten Lebensphase begleitet, gelangt oft an die eigenen Grenzen. Barbara Plagg ist Wissenschaftlerin am Institut für Allgemeinmedizin an der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe „Claudiana“ und arbeitet an der Datenauswertung und Publikation der Studie zur häuslichen Pflegesituation von Palliativpatienten. In den Jahren 2014 – 2018 wurden 320 Personen befragt – Hausärzte, Hauptpflegepersonen, Krankenpfleger und Patienten.

Die „BAZ“ sprach mit ihr über das Tabuthema Sterben und wie wir zu einer „palliativen Kultur“ beitragen können.

Haben wir das Sterben und den Tod zu sehr aus dem Leben verdrängt?
Barbara Plagg: Die hohe Lebenserwartung heute hat den Tod in den Hintergrund gerückt. Früher waren Sterben und Tod für den Menschen alltäglich und persönlich erlebbar. Das Lebensende ist heute schon recht tabuisiert. Das Sterben als Teil des Lebens anzuerkennen bzw. Menschen am Lebensende zu begleiten, haben wir verlernt. So tragisch es klingt, aber das Sterben gehört zum Leben dazu, wir sind biologisch darauf programmiert.

Fehlen uns Rituale für das Sterben?
Früher fanden die Menschen großen Rückhalt in der Religion. Unsere Studie hat gezeigt, dass für ältere Menschen der Glaube immer noch eine wichtige Ressource im Umgang mit dem eigenen Ende darstellt. Jüngere Menschen, die weniger religiös sind, müssen erst eine eigene Form von Spiritualität finden, wo sie sich wiederfinden können, sollten sie mit dem Tod konfrontiert werden. Hier stellt sich die Frage, wer sie dabei begleitet und unterstützt. Viele finden aber im Angesicht des Todes wieder zur Religion.

Der bekannte Hausarzt Karl Lintner und Sanitätsdirektor Thomas Lanthaler, beide Vorreiter in der Palliativ-Care, fordern eine „palliative Kultur“ für unsere Gesellschaft. Was meinen sie damit?
Plagg: Das bedeutet, dass der Umgang mit dem Sterben bzw. Lebensende nicht tabuisiert wird. Es bedeutet, dass man nicht erst vom Sterben redet, wenn man kurz vor dem Tod steht und der Sterbeprozess bereits eingeleitet ist. Rechtzeitig Schwerstkranken die Möglichkeit zu geben, sich zu verabschieden, mit sich ins Reine zu kommen, ausstehende Dinge zu klären, Organisatorisches zu besprechen, ist für den Betroffenen wie für die Angehörigen wichtig. Wie jemand geht und Abschied nehmen kann, ist auch maßgeblich für die Trauerbewältigung der Angehörigen danach.

Wie steht es um diese palliative Kultur bei uns?
Wir haben Nachholbedarf. Einerseits ist die Gesellschaft zu sensibilisieren, das Tabuthema Tod anzusprechen. Eine palliative Kultur bejaht das Leben und akzeptiert das Sterben als normalen Prozess. Palliative Kultur be­stärkt aber auch Menschen und Angehörige im Sterbeprozess. Wir sollten lernen nicht wegzuschauen, wenn Menschen in der Nachbarschaft, im weiteren Familienkreis sterben, nur weil es uns erschreckt und uns an die eigene Vergänglich­keit erinnert. Den Angehörigen sollten wir den Rücken stärken, indem wir sie unterstützen, sodass sie sich ganz auf die Begleitung des Sterbenden konzentrieren kön­nen. Diesen Rücken zu stärken, muss zu einer gesellschaftlichen Verantwortung werden, denn das können nicht Dienste bzw. professionelle Kräfte übernehmen.

Was braucht es dringend?
Die medizinische Betreuung ist nicht die Herausforderung. Die Studie hat gezeigt, dass die meisten mit der ärztlichen und pflegerischen Fürsorge sehr zufrieden sind. Woran wir aber zu arbeiten haben, sind Herausforderungen, die sich aus spirituellen, emotionalen, sozialen Bedürfnissen der Patienten ergeben. Wir brauchen Lösungen, wie wir das palliative Gespräch besser führen können, und vor allem brauchen die Hauptpflegepersonen sehr viel mehr Unterstützung und Entlastung.

 

 

Das Leben kann nur vom Tod her begriffen werden

Religionslehrer Lukas Weger

Drei Fragen an Lukas Weger, Religionslehrer an der Technologischen Fachoberschule „Oskar von Miller“ Meran

Wie erklären Sie Kindern und Jugendlichen Allerheiligen und Allerseelen?

Lukas Weger: Allerheiligen ist ein Gedenktag all jener Menschen, die von der katholischen Kirche in den letzten 2000 Jahren heiliggesprochen worden sind. Wie erreicht man Heiligkeit? Durch außerordentliche, würdevolle Taten und Werke, die vorbildhaft und sinnstiftend für unsere Religion sind. Da im Laufe der Jahrtausende nahezu 7000 Menschen heilig – was auserwählt bedeutet – gesprochen wurden, hat Papst Gregor IV. im 9. Jahrhundert, übrigens auch der Pa­tron der Studenten und Schüler, den 1. November als Festtermin Allerheiligen in den römischen Kalender aufgenommen. Das Allerseelenfest ist am 2. November. An diesem Tag findet häufig eine Grabsegnung statt. Gläubige gehen zu den Verstorbenen, um ih­nen im Gebet, Gedanken und Fürbitten einen Akt der Gnade zu geben. Die Einführung des Allerseelentages, also ein Gedenktag all jener verstorbenen Seelen, die nicht heiliggesprochen wurden, geht auf den Benediktiner Abt Odilo von Cluny im Jahre 998 zurück.

Sprechen Jugendliche über Sterben und Tod oder verdrängen sie dieses Thema?
Das Thema Tod, so meine Erfahrung, wird von den Jugendlichen komplett ausgeblendet. Junge Menschen sollen meiner Ansicht nach aber auch nicht ständig an den Tod erinnert werden, das wür­de sie in ihrer Entwicklung hemmen. Dass der Tod aber zum Leben gehört, dass alles einer Vergänglichkeit unterworfen ist, ist eine Botschaft, die junge Menschen unmissverständlich erkennen, ja verinnerlichen sollten, damit eine Sensibilisierung für ein sinnvolles, ewiges Leben erst gelingen kann. Dies verstanden zu haben, bedeutet auch, dass das Wirken des „Sensenmannes“ keine Bedrohung mehr darstellt. In der Heiligen Schrift heißt es bei Johannes 5,24: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen.“

Und was sagen Sie Ihnen zum Halloween-Brauch?
Halloween bedeutet der „Abend vor dem Fest Allerheiligen“. Der Ursprung dieses Brauches hat urchristlichen und heidnischen Hintergrund.
Der Grundgedanke dieser Tradition, gemeint ist die Seelenwanderung, hat durchaus auch etwas Pietätvolles und die Geschichten, die diesen Ritus um­ranken, sind amüsant. Jedoch so, wie Halloween bei uns heute praktiziert wird, ist es sinnentleert, ja unverständlich. Es ist ein kommerzieller Ersatz für die Feste Allerheiligen und Allerseelen.

 

von Josef Prantl

 

 

Die Rastlosigkeit des Sterbens

Toni Haller Pixner

Ein Essay von Toni Haller Pixner

Wenn wir von Lebensqualität sprechen, Lebenslust oder auch Lebens-Unlust, sitzt uns, ob wir wollen oder nicht, immer auch der Tod im Nacken, er lauert im Hinterhalt, geheimnisvoll, unheimlich, präsent wie ein Jäger auf der Lauer – ob wir es wollen oder nicht. „Herr Schnitter“ schwingt mit einer rastlosen Würde und Macht die Keule, die früher oder später einen jeden von uns lebenden Menschen dahinrafft. Wenn eine berühmte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens stirbt, ein Film- oder Musikstar oder ein uns nahestehender Mensch, läuft ein kalter Schauder uns den Rücken runter, wir sind entsetzt, empört, entrüstet, wütend. In Trauer ballen wir unsere Fäuste und drohen in Richtung Himmel. Tränen fließen, Emotionen kochen hoch und über. Gleichzeitig wundern wir uns, dass wir selbst noch am Leben sind, und vielleicht wagen wir sogar die schüchterne Frage, wann für uns selbst, in unserer eigenen Biografie der Tod an die Tür klopfen wird. Aber diese Frage stellen wir uns eher beiläufig mit der Ten­denz, sie sofort ins Abseits zu drängen, ins Unterbewusste, ins Jenseits. Die gewaltigste Frage aber, die seit Bestehen der Mensch­heit unter den Fingernägeln brennt, ist: Gibt es ein Leben nach dem Tode? Gibt es Wiedergeburten oder nicht? Oder ist mit dem Tod alles zu Ende, ein Schlusspunkt gesetzt? Menschen mit Nahtod-Erlebnissen berichten von Lichterscheinungen am Ende eines Tunnels, berichten von Freude, von grenzenloser Freiheit und endlichem Losgelöst-Sein von die­ser Erde. Seelen, die ihrer eigenen Beerdigung von oben aus belustigt zusehen und nur irritiert sind, wenn die Angehörigen und Freunde trauern. Diese Seelen möchten ihnen zurufen: ich bin frei, mir geht es gut, weint und klagt nicht, ändert euer Leben, lebt intensiver, froher, hängt euer Herz nicht nur an materielle Dinge, lebt ein Leben in Liebe, nicht in Frust und Resignation!

Ein menschliches Leben also wie ein Pendel, das bei der Geburt die ruhende Mitte verlässt, gewaltig nach links und nach rechts schwingt – und beim Tod wieder zur ruhenden Mitte zurückkehrt? Vielleicht ist es gut oder sogar notwendig, dass der Tod für uns etwas Mystisches hat, dass er existentielle Fragen aufwirft, ohne diese zu beantworten. Wenn wir dieses Geheimnis gelüftet hätten, wäre womöglich das Leben an und für sich weniger spannend, weniger ereignisreich, öde und leer, eben seines größten Geheimnisses beraubt. Also stimmen wir lieber ein humorvolles Loblied an auf „Bruder Tod“ oder auf „Schwester Tod“, wie es uns bereits Franz von Assisi im Mittelalter vorgemacht hatte, als er mit den Vögeln um die Wette zwitscherte.