Menschen zu begegnen, die von ihrem Leben erzählen, ist ein Geschenk. Johannes Noisternigg lässt an seinem Leben gern teilhaben. Seine Erinnerungen
sind lebendig und spiegeln die jüngere Geschichte unseres Landes wider.
18 Jahre war Johannes Noisternigg Dekan von Bozen, 15 Jahre davor Dekan von Terlan. Mit 72 ernannte ihn Bischof Wilhelm Egger zum Seniorenseelsorger der Diözese, seit 13 Jahren ist er im Ruhestand, was aber nicht bedeutet, dass er seiner seelsorgerischen Arbeit nicht mehr nachkommt.
Johannes Noisternigg feiert im April seinen 85. Geburtstag. Ein Rückblick auf ein erfülltes Leben.
Als Dekan der Dompfarre von Bozen ist Noisternigg kein Unbekannter. Weniger bekannt ist, dass Johannes Noisternigg ein Meraner „Laubenkind“ ist. Geboren am 16. April 1935 in Meran hat er Kindheit und Jugend in der Stadt verbracht und ist im Herzen bis heute ein Meraner geblieben. „Meine Wurzeln mütterlicher- und väterlicherseits finden sich in allen Himmelsrichtungen der ehemaligen Habsburgermonarchie“, erzählt er, nicht ohne ein wenig stolz darauf zu sein, dass seine Vorfahren aus Böhmen, Kärnten, Wien und dem Vinschgau stammen. Im Meran des späten 19. Jahrhunderts fanden sie alle eine neue Heimat.
Noisternigg erzählt von seinem Großvater mütterlicherseits, der als Chefkoch im „Grandhotel Karersee“ sogar Englands Premierminister Winston Churchill bekochte. Aus der Nähe Wiens stammt die Großmutter. Die Noisterniggs väterlicherseits kamen um 1880 von Kärnten nach Meran. Großvater Karl Noisternigg war Schneidermeister und eröffnete in der Marktgasse eine Schneiderwerkstatt. Seine Frau Carolina Primiser stammte aus Eyrs im Vinschgau.
Eine Kindheit in Meran
Es war keine einfache Zeit, als Johannes als erstes Kind von Josef und Maria Noisternigg in der Karwoche von 1935 zur Welt kam. „Meine Eltern waren Dableiber und bekamen die Anfeindungen und den Fanatismus so mancher Optanten zu spüren“, erinnert er sich. Unter Tränen musste er den italienischen Kindergarten und die ersten zwei Jahre der italienischen Grundschule in der Galileistraße besuchen. Die Erinnerungen an liebevolle und einfühlsame italienische Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen sind aber bis heute lebendig. Die Bilder von den schwer verwundeten Soldaten, die im April 1945 in der heutigen Tappeiner-Schule einquartiert waren, von den Fliegerstaffeln, die über dem Küchelberg Richtung Bozen flogen, von den armseligen italienischen Soldaten, die 1943 von den Deutschen durch die Stadt patrouilliert wurden, haben sich in sein Gedächtnis an die Kindheitsjahre in Meran festgeschrieben. Honigschlecken waren diese Jahre beileibe nicht. „Wir lebten in einer Dreizimmerwohnung in den Lauben; Toilette und Bad im Freien teilten wir uns mit den anderen Mitbewohnern“, erzählt Noisternigg. „Aber wir hatten auch viel Spaß; mit meinen Freunden machte ich die Lauben unsicher“, schmunzelt er und erzählt von seinem Lebensfreund Günther Frasnelli und den anderen Freunden, alles richtige Lausbuben.
Die starke Mutter
Als Dableiber musste Vater Josef zuerst zum italienischen Heer, 1943 nach der Besetzung Italiens durch die Nazis aber auch bei den „Deutschen“ einrücken. „Zur Wehrmacht wäre er freiwillig gegangen“, erinnert sich Altdekan Noisternigg, „dass man ihn aber als Übersetzer zur Partisanenbekämpfung zu einer SS-Einheit in Norditalien zwang, war für ihn nicht zu ertragen. Dabei muss er Schreckliches erlebt haben und ich weiß, dass er, wo er nur konnte, den Gefangenen zu helfen versuchte“, betont Noisternigg.
In diesen schwierigen Zeiten war es die Mutter, die für die junge Familie sorgte, 1938 ist Schwester Martha geboren. Die Mutter, Maria geb. Rudolph, war es, die noch vor Kriegsende ein kleines Geschäft in den Lauben übernahm und es so ermöglichte, dass der Vater nach seiner eineinhalbjährigen Gefangenschaft zum Kaufmann wurde. „In der Stadt war ich der Soaler Hans, denn so hieß der Laden, bevor ihn meine Eltern übernahmen“, schmunzelt Johannes Noisternigg. 1949 kam Maria auf die Welt, die jüngere Schwester. Das Haushaltswaren-Geschäft in den unteren Wasserlauben lief immer besser, auch wenn an große Sprünge nicht zu denken war.
Schul- und Lausbubenzeit
Johannes besuchte die Mittelschule bei den Englischen Fräulein am Sandplatz und wechselte dann auf das Gymnasium am Rennweg. Lausbub blieb er und mit Freunden unterwegs zu sein, war ihm oft wichtiger, als zu lernen. Nach zwei Jahren flogen die negativen Noten nur so daher, eine Lösung musste gefunden werden, „denn die Matura wollte ich auf alle Fälle schaffen“, sagt er. Die Lösung sollte das bischöfliche Seminar Johanneum in Tirol sein. Hier herrschte eiserne Disziplin und schon gar nichts sollte den Jungen mehr vom Studium abhalten. Schöne Erinnerungen an diese drei Heimjahre sind allerdings nicht geblieben, das eigentliche Ziel wurde aber erreicht. „Für einen Stadtbuben, der die Freiheit über alles liebte, war es nicht einfach, sich an die strengen Heimregeln anzupassen“, erinnert er sich. Die Staatsmatura schaffte Johannes dann auch mit Bravour. Seine Mitschüler in dieser Zeit waren Franz Augschöll, der vielen Meranern als Lehrer und Priester in bleibender Erinnerung ist, Pfarrer Hubert Rabensteiner, der ehemalige Tisner Dekan Rudolf Griesser, Ignaz Eschgfäller, vor seiner Pensionierung Pfarrer von Marling, Alois Wilhelm, der unter anderem Pfarrer in Partschins war, Sebastian Kröss und der Meraner Altphilologe Raimund Senoner.
Theologiestudium in Trient
Warum sich Johannes Noisternigg nach der Matura zum Theologiestudium entschlossen hat, hängt ein bisschen auch mit seinem Wesen zusammen. „Ich hatte gute Vorbilder“, sagt er. Als Ministrant bis zum 18. Lebensjahr lernte er Priester kennen, die ihn sehr beeindruckten. Vor allem aber war es die Gemeinschaft, die er als Ministrant und in der Jungschar- und Jugendarbeit erlebte, die ihn zeitlebens faszinierten. „Menschen zu begegnen, für sie da sein zu dürfen, ihnen zuzuhören, sie auf ihrem Lebensweg ein Stück auch begleiten zu dürfen, wurde für mich ein Lebensziel“, erklärt er rückblickend seine Motivation für das Theologiestudium. Von 1956 bis 1961 studierte Johannes Noisternigg am Priesterseminar in Trient Theologie. „Wir waren damals 50 deutsche und 100 italienischsprachige Studenten“, erinnert er sich. Zu Josefi 1961 wurde er in der St.-Nikolaus-Pfarrkirche in Meran von Weihbischof Heinrich Forer mit 9 weiteren Mitbrüdern zum Priester geweiht: „In jener Kirche, wo ich getauft worden bin, die Erstkommunion empfangen habe, gefirmt wurde und von klein auf ministriert habe“, sagt er, nicht ohne ein wenig stolz darauf zu sein. Zur Primizfeier am Ostermontag war allerdings keine Gaststätte mehr zu finden, auch wenn der Vater alles versuchte. Rettung in letzter Sekunde bot Pater Matthias Strobl, damals Leiter des Schülerheimes „Rediffianum“ in Meran, der den Speisesaal für die Feier anbot, erinnert sich Altdekan Noisternigg an diesen außergewöhnlichen Menschen, der vielen in bleibender Erinnerung ist.
Von Kastelruth nach Bozen
Für einen „Stadtler“, der es Johannes durch und durch war, auf den Berg zu ziehen, war anfangs nicht ganz einfach. Keine Herrenjahre waren die Zeit von 1961 bis 1963 als Kooperator in Kastelruth. Im Widum und in der Kirche war es bitter kalt und der Dekan macht ihn gleich zu Beginn mit der wichtigsten Regel vertraut: „Ein Priester hat um 19 Uhr im Widum zu sein!“ Als er einmal bei einer Sterbenden bis 22 Uhr blieb, traf er auf verschlossene Widumstüren. Am 1. September 1963 kam dann die Versetzung nach Bozen. „Ich war sehr überrascht, dass ich in die Stadt zurückdurfte, auch wenn ich mich in Kastelruth inzwischen recht wohl fühlte“, erinnert sich Noisternigg. In Bozen konnte er sich als Kooperator richtig entfalten, die Jungschar- und Jugendarbeit aufbauen, er gründete zahlreiche Ministrantengruppen und unterrichtete Religion an der Grund- und Mittelschule. „Es waren erfüllte Jahre“, erinnert sich Noisternigg.
Vom Kooperator zum Dekan
Vom Kooperator zum Dekan ernannt zu werden, ist eigentlich nicht üblich. 1974 erhielt Noisternigg die Beauftragung, das Dekanat Terlan mit seinen 6 Pfarreien zu leiten. „Der Pfarrer und Doktor waren die Bezugspersonen im Dorf“, sagt Noisternigg. Für alle Menschen da zu sein, war ihm das Wichtigste. 15 Jahre sollten es in Terlan werden, bis ihm im Jahr 1989 das Dekanat der Dompfarre Bozen nahegelegt wurde. 18 Jahre leitete Johannes Noisternigg die Dompfarre Bozen. Ein großes Anliegen war es ihm, die Priester in den Pfarreien regelmäßig zu besuchen. „Priester sind oft einsame Menschen“, sagt er, „auch wenn das nicht so scheint.“ Er baute das Pfarrheim um, schrieb dazu einen Architektenwettbewerb aus, ließ darin auch Wohnungen für die Mitarbeiter und für „Frauen helfen Frauen“ errichten. Dafür wurde er 1995 mit dem Verdienstkreuz des Landes Tirol ausgezeichnet. Bischof Josef Gargitter, der von Brixen nach Bozen gezogen ist, wohnte eine Zeit lang mit ihm im Pfarrwidum. „Gargitter, der kein geborener Sänger war, übte über mir“, schmunzelt Noisternigg und fügt dazu: „Er war ein ganz feinfühliger Mensch“. Für den Bozner Dom schaffte er zwei neue Orgeln an, renovierte das zur Dompfarre gehörende Würzjochhaus für die Jungschar- und Jugendlager, gestaltete die Sitzordnung im Dom um, schuf Beichtzimmer, vor allem aber war er der Dekan für alle Bozner: Die Seelsorge war ihm stets das größte Anliegen.
Seniorenseelsorger der Diözese
Mit 70 wollte Johannes Noisternigg das Amt abgeben, Bischof Wilhelm Egger zögerte aber den Abgang des weitum geschätzten Dekans noch um 2 Jahre hinaus. Es folgten dann 9 Jahre als Seniorenseelsorger der Diözese: „Eine erfüllte und intensive Zeit mit Vorträgen, Begegnungen und Gesprächen in zahlreichen Pfarreien unseres Landes“, erinnert er sich. Johannes Noisternigg war auch geistlicher Assistent der Vinzenz-Konferenzen Südtirols, Zentralpräses des Kolpingwerkes, Kaplan der Delegation Südtirols des Souveränen Malteser Ritterordens und Ehrenkanonikus an der Kathedrale von Brixen. Seine Leidenschaft ist das Reisen, vor allem der Orient hat es ihm angetan. So bereiste er in den vergangenen Jahrzehnten den ganzen Nahen und Mittleren Osten. Heute wohnt Altdekan Noisternigg die ersten drei Wochentage im Kolpinghaus von Bozen, den Rest der Woche aber in Meran. Auch wenn er seit 13 Jahren eigentlich im Ruhestand ist, geht er der seelsorgerischen Arbeit immer noch mit großer Freude nach, feiert Gottesdienste im Dom von Bozen und Meran, ist Präses des Kolpinghauses von Bozen und steht mit seinen 85 Jahren noch ganz im Leben. Am 16. April feierte er seinen halbrunden Geburtstag.
von Josef Prantl