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Sanfter Tourismus

Entspannen und Natur genießen

Wie wird sich der Tourismus im Meraner Raum entwickeln? Werden wir die Umweltprobleme, die Verkehrsbelastung, Luftverschmutzung in den Griff kriegen? Werden kleinere Familienbetriebe überleben oder hat nur das Topsegment
Zukunft? Vor allem aber: Wird der Tourismus allen zugutekommen?

Wanderwege gibt es zuhauf bei uns

„Sanfter“ Tourismus lautet die Lösung auf diese Fragen. Der Begriff stammt aus den 1970er Jahren; heute spricht man von nachhaltigem oder integrativem Tourismus. So lautete der Tenor auf einer internationalen Konferenz der Europäischen Grünen im Kurhaus.
Vertretungen aus ganz Europa waren im Juni nach Meran gekommen, um über die Zukunft des Tourismus im Alpenraum und in ganz Europa nachzudenken. Neben Parlamentarier Florian Kronbichler, den Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa und Hans Heiss waren Südtirols Grüne stark vertreten.

Tragende Wirtschaftssäule
Der Fremdenverkehr bei uns blüht. Die Zahlen sprechen dafür. Rund sieben Millionen Gäste kamen vergangenes Jahr nach Südtirol. Insgesamt zählte man 31,4 Millionen Nächtigungen bei einer durchschnittlichen Tagesausgabe von 120,00 Euro. 1,1 Millionen Nächtigungen waren es allein in Meran. Das Burggrafenamt habe sich aggressiv nach vorne gekämpft, hieß es kürzlich in den Medien. Mit 5,6 Millionen Nächtigungen im Sommer ist es nun nach dem Pustertal auf Platz 2. Südtirol hat rund 10.000 touristische Betriebe mit 220.000 Betten. Und die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr, vor allem im Topsegment.  Die Schwerkraft dieses Wirtschaftszweiges lässt sich aus diesen Zahlen erahnen. „Ich finde es ein bemerkenswertes Ergebnis, was die Südtiroler Tourismuswirtschaft wieder geliefert hat“, bestätigte ihr dann auch Landeshauptmann Arno Kompatscher.

Die Schattenseiten
Es ist nicht zu bestreiten: Der Tourismus ist Existenzgrundlage vieler Menschen in unserem Land und Quelle für den Wohlstand. Welchen Preis zahlen wir aber dafür? Wie veränderte er unser Leben, unsere Umwelt, unsere Gesellschaft? Kinder aus Hoteliersfamilien wachsen oft nicht in einem Zuhause auf, sondern im öffentlichen Raum. Die Dauerbelastung wirkt sich auf das Familienleben aus. Das wissen alle, die jahrein, jahraus von Gästen umgeben sind. Die Umweltbelastung durch den Verkehr, die Luftverschmutzung, der anfallende Müll ist nicht zu übersehen. Die Arbeitsverhältnisse im Gastgewerbe verlangen starke Nerven. Alkoholismus, Drogenkonsum, psychische Erkrankungen finden hier einen guten Nährboden. Wirk­lichen Pro­fit streichen wenige ein, oft zu einem hohen Preis. Ein Problem wird sich in Zukunft auch für die Familienbetriebe ergeben, wenn es um das Erbe geht. Die Frage nach den Grenzen des Wachstums muss auch gestellt werden. Stündlich überqueren 5500 Autos im August den Karerpass. Wenn Umwelt und Tourismus eine Zukunft haben soll, dann sind ökologisch tragbare Entwicklungen gefragt.

Schattenseiten des Tourismus

Sanfte Mobilität, Gesundheit und Völkerverbindung
Nach Wegen und Auswegen aus dem Dilemma wurde auf der Konferenz der Europäischen Grünen in Zusammenarbeit mit den Südtiroler Grünen im Kurhaus dann auch gesucht. Einen Streifzug durch Merans Tourismusgeschichte unternahm Bürgermeister Paul Rösch. 1835 wurde die Stadt im „Penny Magazine“ von einem britischen Reisejourna­listen erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Und bereits damals kristallisierte sich die DNA heraus, die Südtirols Tourismus bis heute ausmacht: naturbelassene Landschaft, besonderes Klima, autochthone Produkte und beherzte Menschen. War Meran gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Kurstadt von Weltruf, verlagerte sich der Frem­denverkehr seit den späten 1960er Jahren auf die umliegenden Gemeinden. Schenna zum Beispiel hatte 1960 7000 Nächtigungen vorzuweisen, zehn Jahre später waren es bereits 365.000. Heute ist die Eine- Million-Grenze schon geknackt. Tirol verbuchte 1960 72.000 Nächtigungen, 1970 waren es satte 515.000 Nächtigungen.

Bevölkerung muss dahinter stehen
Entwicklungsmöglichkeiten für Merans Tourismus sieht Rösch vor allem im kulturellen und Gesundheitssektor. Meran als Gehstadt, Kulturstadt, Fair-Trade-Stadt! Nach­­haltiger Tourismus bedeute, das Verkehrsproblem zu lösen, keine neuen Tourismuszonen auszuweisen, vor allem aber: die Bevölkerung müsse dahinter stehen. Einheimische und Gäste, eine Symbiose, die möglich ist, die notwendig ist! Rösch weiß, dass durch die Begegnung Offenheit, Toleranz und Völkerverständigung gefördert  werden. Dass wir in Nachhaltigkeit gar nicht so schlecht dastehen, belegte Thomas Aichner.
Sanfter Tourismus ist für den IDM-Kommunikationschef die einzige Überlebensstrategie. Mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes (Mobilcard Südtirol), des weitläufigen Fahrradnetzes, der Förderung alternativer Energien (Photovoltaik, Solar), dem Klimahaus, der Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Gastgewerbe seien bereits respektable Schritte gemacht. Es gelte Beispiele gelingender Balance zwischen den Ansprüchen an Naturerlebnis, Authentizität sowie Erreichbarkeit und Ferienkomfort zu schaffen, rät Aichner. „Nur wenn unsere Kinder auch in einer intakten Natur und sozial gerechten Gesellschaft aufwachsen und leben werden, haben wir Zukunft“, lautet sein Credo.

 

Tourismus ist wichtig, aber nicht alles!
Univ.-Doz. Dr. Hans Heiss stammt aus einer angesehenen Brixner Hoteliersfamilie und gilt als Experte für Tourismusgeschichte. Er arbeitete an verschiedenen Museumsprojekten mit, unter anderem auch für das Touriseum auf Schloss Trauttmansdorff. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit und Lehrtätigkeit an der Universität Innsbruck engagiert sich Heiss auch politisch. Seit 2003 ist er Abgeordneter der Grünen im Südtiroler Landtag. die BAZ sprach mit ihm über Visionen und Entwicklungen im Tourismus.

L.-Abg. Hans Heiss

BAZ: Herr Dr. Heiss, hat der Tourismus unser Land verändert?
Keine Frage, Tourismus hat in tief greifender Weise unser Land verändert. Zwar vielfach zum Guten, aber auch zum Nachteil: Tourismus hat Einkommen und Wohlstand in Zentren wie Meran oder Bruneck getragen, vor allem aber in Hochtäler gebracht und Entwicklung ermöglicht, die andere Wirtschaftszweige nicht bieten konnten. Er belastet aber auch Menschen und Landschaft: durch massive Eingriffe in Natur und Landschaft, Verkehr und – sozial gesehen – spürbare Preissteigerung.

Wer ist Gewinner, wer Verlierer bei diesem Geschäft?
Gewinner sind die Touristiker, Gastwirte, Zimmervermieter, Restaurants und Cafés, aber auch viele Handels- und Handwerksbetriebe, Teile der bäuerlichen Landwirtschaft und auch viele Mitarbeiter. Die öffentliche Hand zieht hohe Eingänge aus erlegten Steuern und Ortstaxen. Verlierer sind die vielen Personen, die nicht direkt im Tourismus arbeiten. Sie spüren den Preisauftrieb von Lebensmitteln und Waren, auch den touristisch überteuerten Wohnungsmarkt. Sie sehen, wie sehr die Natur durch starke Eingriffe belastet ist und die Umwelt durch massiven Verkehr und verschlechterte Luftqualität.

Ist eine gerechte Teilhabe am ökonomischen Nutzen aus dem Tourismus für alle Bürger überhaupt möglich?
Kein Zweifel, Südtirols Tourismus mit zahlreichen Familienbetrieben, kleinen Hotels und Pensionen erzielt eine gute Verteilungswirkung, da viele Inhaber, Mitarbeitende, Lieferanten und Handwerker am warmen Regen seiner Umsätze positiv teilhaben, auch über die Steuermittel. Ungerecht ist aber, dass bestimmte Gruppen nur die Nachteile des Tourismus abbekommen, etwa jene Gemeinden, die unter Transitverkehr leiden, und jene Menschen, die nicht im Tourismus arbeiten.

Schenna und Dorf Tirol sind in den Wintermonaten wie Geisterdörfer. Alles und alle scheinen nur auf die Gäste eingestellt zu sein. Was kann eine Gemeinde gegen diese Vereinnahmung tun?
Schenna und Dorf Tirol mit weit über einer Mil­lion Übernachtungen leben unter dem Druck einer touristischen Monokultur. Abhilfe gewähren gute öffentliche Leistungen, wie ein starkes Bildungs-, Kultur- und Vereinsangebot. Hilfreich sind die Ausweisung von günstigen, stark geförderten Wohnbau- und Erweiterungszonen und eine gezielte Sozialpolitik zugunsten der vom Tourismus Benachteiligten mit erheblichen Mitteln aus dem Sektor.

Der Trend zu immer größeren und luxuriösen Hotels ist unverkennbar. Haben kleinere Familienbetriebe denn noch eine Zukunft?
Die Gewinner der letzten 15 Jahre sind zweifellos die Vier- und Fünf-Sterne-Hotels, die sich in ihrer Größe bis auf 150 – 200 Betten und zu staunenswerter Qualität aufgeschwungen haben. Sie verzeichnen stete Zuwächse. Dagegen sind die Ein- und Zwei­Sterne-Betriebe stark rückläufig. Dennoch haben Familienbetriebe eine gute Zukunft, da sie oft mit erstaunlich gutem Preis-Leistungs-Verhältnis, zudem mit einem Ausmaß an Gastfreundschaft aufwarten können, das größere Häuser nicht durchwegs bieten. Erst recht gilt dies für den familiennahen „Urlaub auf dem Bauernhof“, der „Rote Hahn“ kräht von Jahr zu Jahr kräftiger.

Vertreter der Grünen aus Europa dachten in Meran über die Zukunft des Tourismus nach

Kürzlich trafen sich Europas Grüne in Meran und dachten über nachhaltigen Tourismus nach. Welche Vorschläge und Visionen wurden dabei entwickelt?
Neben einer umfassenden Diagnose und auch scharfer Kritik an Überlastung und Fehlsteuerungen des Tourismus im Alpenraum kamen auch konkrete Vorschläge auf den Tisch:  So wurde die Mahnung von IDM-Marketingchef Thomas Aichner zu Authentizität von Georg Willi, Tourismussprecher der Österreichischen Grünen, mit einer Reihe konkreter Vorschläge zur Regionalität, zur Mitarbeiterschulung und -führung und zu angemessener Entlohnung untermauert. Ein slowenischer Vertreter schilderte die Vorzüge des Jugendtourismus als nachhaltige Form, die auch Zukunftsmärkte erschließen könne. Schließlich wurde ausführlich über Mobilität, zumal über die Perspektiven der E-Mobilität, diskutiert.

Vor welchen Herausforderungen steht der Fremdenverkehr bei uns vor dem Hintergrund des Klimawandels?
Die Wucht der Klimaveränderung, lange weit unterschätzt, zeigt sich in aller Schärfe: Der Temperaturanstieg, vor allem im Sommer, ist unverkennbar.
Die Auswirkungen sind auch in Zentraleuropa in Dürre und Wassermangel, aber auch in heftigen Stürmen spürbar. Umso mehr leiden die stark betroffenen Regionen der Tropen und küstennahen Gebiete, deren Zukunft im Wortsinn überflutet wird bzw.  – wie aktuell in Angola und Somalia  – förmlich „verdorrt“. Die Alpen sind Profiteure der Entwicklung, als Kühlkammer des Kontinents, auch in touristischer Hinsicht. Sie werden aber auch mit Wassermangel und Erosion rechnen müssen. Und wir haben die Pflicht, einen klimaverträglichen Tourismus aufzubauen, der mit einem geringen ökologischen Fußabdruck unsere Verantwortung unter Beweis stellt.

Müssen Südtirols Hoteliers und Gastwirte nicht mehr den Umweltschutz auf ihre Fahnen schreiben?
Umweltschutz wird auch im Tourismus über ökologische Lippenbekenntnisse hinausführen müssen: Kein Green-Washing, sondern planvolle Einschränkung des Ressourcen- und Energieverbrauchs, planvolle Regionalität in Küche und Produkten, nachhaltige Mobilität müssen den Gästen nahe gelegt und praktiziert werden. Tourismus in Südtirol leistet aber den wichtigsten Beitrag durch Selbst­beschränkung: durch maßvolles Wachstum, bessere Verteilung auf  Talschaften und Jahreszeiten. Getragen von der Einsicht, dass Tourismus für Südtirol wichtig ist, aber nur 25 % des BIP erbringt.

von Josef Prantl