Das Rad der Zeit
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Verlogenes Spiel

Kein Berg ist zu hoch, keine Wand zu steil, keine Schlucht zu tief. Extrem muss es sein. Erinnern Sie sich an den Doping-Skandal bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld diesen Winter? Und dann noch die Fußball-WM 2022 in Katar. Erpressung, Bestechung, Geldwäsche: So umschreibt ein Blogger die Machenschaften von Fifa und IOC. Was hat das alles noch mit Sport zu tun? 

Dabei ist Sport aus unserer Alltagskultur nicht mehr wegzudenken. Sportsendungen haben die höchsten Einschaltquoten, noch vor Blockbustern und Tatort-Krimis. Seine überragende Bedeutung hat der Sport aber erst in unserem Jahrhundert erfahren. Heute sind es Dutzende Sportarten, die Menschen faszinieren, allerdings meist mehr in seiner passiven als aktiven Form. Sport wird dementsprechend auch zelebriert und mit Pri­vi­legien ausgestattet.  Wirtschaft, Po­litik, Mas­sen­medien, Bildung, Gesund­heits­wesen, fast alle Lebensbereiche haben einen Bezug zum Sport. Dabei ist er ein ei­gen­artiges Phä­no­men. Man könnte jederzeit auf ihn verzichten. Jahrtausende konnten die Menschen ohne Sport auskommen, und auch heute gibt es noch Gesellschaften, für die Sport eher eine Luxuserscheinung ist.

Die Sucht nach dem ultimativen Kick kostet jedes Wochenende Leben

In der modernen Gesellschaft erfüllt er allerdings einige nicht unwichtige Funktionen. Die ökonomische Bedeutung von Sport ist unverkennbar. Hochleistungssportler verdienen horrende Summen, die mediale Ver­mark­tung verspricht satte Gewinne. Sport ist ein Riesengeschäft. Die gesundheitspolitische Funktion von Sport wird vor dem Hinter­grund der alternden Gesellschaft immer wichtiger. Sport soll bis ins hohe Alter uns fit halten und so das öffentliche Gesund­heits­wesen entlasten. Ganz im Sinne von: Prä­ven­tion ist besser als teuer therapieren. Sport übt aber auch Kompensations-, Repräsentations-, Resozialisierungs- und auch Unterhaltungs­funktionen aus.

Die zwei Gesichter des Sports

Auffallend sind dabei seine zwei völlig gegensätzlichen Seiten: einerseits ist Sport eine Schule des Fair Play, gleichzeitig ist er aber auch eine Schule des Foulspiels. Sport macht gesund, er kann aber durch seine vielen Risi­ken schwere Verletzungen und Krankheiten hervorrufen. Sport fördert das soziale Zu­sammenleben, er ist aber auch eine Schule des Egoismus. Werden bei uns Fußball, Ski­fahren oder Biathlon als interessant wahr­genommen, sind diese Sportarten in den Ver­einigten Staaten uninteressant. Basketball, American Football, Baseball und Eishockey sind hingegen deren Zuschauermagnete. Fuß­ball und Sumo-Ringen fasziniert Sene­ga­lesen. Cricket kann die Engländer und Inder faszinieren und uns nur langweilen, und Rug­by ermöglicht Australien, Südafrika, Neu­see­land und Samoa intensivste Iden­ti­fi­ka­tions­prozesse. Die interkulturellen Unter­schiede zeigen sich im Sport ganz deutlich.

Wie kein anderes Kulturgut ist Sport zugleich global und lokal. Er fasziniert im Augenblick und erreicht höchste Aufmerksamkeit und dennoch ist bereits morgen nahezu jedes Sport­ereignis eine schnell zu vergessende Geschichte. Im Sport wiederholt sich nahezu ständig alles und dennoch bringt er immer wieder Neues hervor. Es geht um Sieg oder Niederlage, Sport ist Wettkampf, aber immer ein Spiel. Nicht jeder sieht dies allerdings so, wie die brutalen Ausschreitungen vor den Sta­dien uns regelmäßig vor Augen führen.

Sport als Kriegsersatz

Sport soll Freude bereiten und darf nicht zum Leistungszwang führen

Sport bietet zahlreiche regionale und nationale Identifikationsmöglichkeiten. In dieser Funktion hat er eine große Bedeutung in unserer Gesellschaft. Ein sportlicher Wettkampf besteht aus Spielregeln, die klar bestimmen, was erlaubt ist und was nicht. Der Sport tritt im Spiel aus dem gewöhnlichen Alltag heraus, er ist etwas Besonderes, ein zeitlich und örtlich begrenztes Spektakel, in dem es wie im Leben zur Sache geht und gewonnen oder verloren wird. Wenn man so will, steht der Sport stellvertretend für das Leben. Darin liegt seine Macht, seine Faszination. Man könnte sagen, Sport ist Kriegsersatz in Frie­dens­zeiten. Sport ist auch ein nationales Aus­hängeschild. Als sich in der Zeit des Kal­ten Krieges mit dem Westen und Osten nicht nur zwei ideologisch gegensätzliche Blöcke gegenüberstanden, wurden die politischen Duel­le häufig über den Sport ausgetragen. Sport ist daher immer auch politisch und wird dementsprechend auch immer dafür missbraucht: Das war schon unter Adolf Hitlers Olympiade in Berlin so, und daran hat sich bei den vielen olympischen Spielen bis heute nicht viel geändert. Solche sportlichen Großereignisse bieten für die austragen­den Länder eine willkommene Gelegenheit, der Weltöffentlichkeit ihr schönstes Gesicht zu zeigen. Der Sport muss herhalten, um sich als gastfreundlich, friedliebend und tolerant im Sinne der Völkerverständigung zu zeigen und innenpolitische Probleme wie Armut, Unter­drü­ckung und Ausbeutung zu überdecken.

Die große Verlogenheit

Dabei hat dieser scheinheilige Show-Cha­rak­ter in unserer heutigen Event-Kultur ein ungeheures Ausmaß angenommen. Eine Fußball-WM in der Wüste? Wa­rum nicht?

Was wie ein Witz wirkt, wird WM-Wirk­lich­keit werden. Aus­tragungsort im Jahr 2022: Katar. Und weil es im Sommer dort zu heiß wird, gibts diesmal eine Weihnachts-WM. Wir können dann die Fanmeile auf dem Weih­nachtsmarkt aufschlagen und uns bei einer Tasse Glüh­wein für das Fußballgekicke auf der Großleinwand erwärmen.

Der Macht des Sports scheint offenbar nichts mehr heilig zu sein. Dabei sollte es niemanden verwundern, dass dieser arabische Wüstenstaat mit den sprudelnden Ölquellen zu den reichs­ten Ländern der Welt gehört.

Geld und Macht

Sport und Geld scheinen zusammen eine Macht zu bilden. Er ist ein gigantisches Ge­schäft und lässt sich in unserer heutigen medialen Gesellschaft hervorragend vermarkten.

Das öffentlich-rechtliche Fern­sehen, die Privatsender und das Pay-TV teilen sich den heiß umkämpften Markt der Sport­be­richt­­er­stattung und konzentrieren sich dabei auf ein paar favorisierte Sportarten wie Fußball, Hand­ball, Tennis, Motorsport oder alpines Ski­fah­ren. Viele andere Sportarten gehen leer aus oder werden billig abgespeist. Wie viel Geld der Sport derzeit bewegt, vermag nie­mand zu erfassen. Er ist auf alle Fälle ein sehr bedeutender Wirt­schafts­zweig. Die Umsätze werden von Jahr zu Jahr gewichtiger.

Der Sport und der Sponsor – sie gehören heute untrennbar zusammen. Der Kommerz bindet die Sport­vereine immer enger an Kon­­zer­ne, große Stadien werden zum Beispiel nach Versi­cherun­gen benannt. Umgekehrt ist ein erfolgreicher Verein heute selbst wiederum ein Markenzeichen und probiert sogar den Gang an  die Bör­se. Eines scheinen wir dabei immer mehr zu vergessen: Sport ist in erster Linie eigentlich Be­we­gung, die man selbst ausüben sollte. Früher nannte man den Sport­­unterricht in der Schu­le nicht ohne Grund daher Lei­bes­­er­zie­hung.

 

Hubert Göller mit Jugendlichen der Sektion Leichtathletik im ASC Passeier

Interview mit Hubert Göller

Hubert Göller ist Sportler mit Leib und Seele. Der gebürtige Lananer, der heute mit seiner Familie in St. Martin i. P. lebt, blickt auf eine erfolgreiche Kar­riere zurück. Und er ist immer noch aktiv. Als Sportler und als Trainer.

Erst kürzlich holte er sich den Welt­meistertitel im Speer­wurf in der Klasse der Mas­ters-Athleten. Das sind ehemalige Leicht­athle­ten aus aller Welt, die sich bis ins hohe Alter bei Wettkämpfen messen. Hubert Göller ist aber auch passionierter Trainer. Seit Jahren kümmert er sich leidenschaftlich um die Passeirer Leicht­athleten und kann auf beachtliche Erfolge verweisen. Für seine vorbildliche Jugendarbeit wurde er heuer auch geehrt. Der Verband der Südtiroler Sport­ver­eine prämierte das Projekt „Pur­zi­gagele“ der Sektion Leicht­ath­letik im ASC Passeier. In diesem Projekt geht es in erster Linie darum, Kindern die Freude an Be­we­gung näher zu bringen und sie für verschiedenste Sportarten zu begeistern. Radio Südtirol 1 kürte darauf Sektionsleiter Hubert Göller, stellvertretend für alle Mitglieder und Helfer, am 11. Februar zum Südtiroler des Ta­ges.

Die BAZ sprach mit Hubert Göl­ler über Sport, seine Abgründe und wie man junge Menschen für „sauberen“ Sport gewinnen kann.

Sie betreiben ein Leben lang Sport und sind auch erfolgreich. Was bedeutet Sport für Sie?

Hubert Göller: Sport im Allgemeinen stellt für mich eine mehr als willkommene Abwechslung zu meinem Alltag dar. Er ermöglicht mir eine abwechslungsreiche und somit für Körper und Seele gesunde Beschäftigung in meiner Freizeit. Die Leichtathletik, im Speziellen das Speerwerfen, ermöglicht mir, mich mit anderen sportlich zu messen. Dies empfinde ich als große Bereicherung.

Ein Anliegen ist es Ihnen, Kinder und Jugendliche für Bewegung und Sport zu begeistern. Wie kann das gelingen?

Ich denke, dass es in erster Linie wichtig ist, für Kinder und Jugendliche vielfältige Möglichkeiten zu schaffen, um Sport in all seinen Facetten betreiben zu können und davon begeistert zu werden. Die Leichtathletik ist so gesehen eine sehr dankbare Sportart, da sie eine der vielfältigsten Sportarten überhaupt ist und für jeden etwas bereitstellt. Nicht umsonst lebt jede andere Sportart vom sogenannten „Athletiktraining“. Die Erfahrung hat mir jedoch auch gezeigt, dass die Gruppe und der soziale Aspekt nicht außer Acht gelassen werden dürfen. So sind zusätzliche Aktivitäten wie Hüttenlager oder mehrtägige Reisen zu Wettbewerben für die jungen Sportler das Gelbe vom Ei und vielfach die bedeutsamere Motivation im sportlichen Handeln.

Hubert Göller bei seinem Speerwurf zum Weltmeister der Master-Athleten

Es wird behauptet, Sport habe eine große pädagogische Aufgabe. So sollte das Fair­nessprinzip im Mittelpunkt der sportlichen Wettkampfidee stehen. Wie schaffen Sie dies zu vermitteln?

Hierzu kann ich sagen, dass ich in den vielen Jahren meiner sportlichen Aktivität größtenteils immer Fairness erlebt habe. Fairness ist die moralische Grundlage, um im Sport überhaupt ein gemeinsames Ziel verfolgen zu können. Kindern und Jugendlichen ist Fairness viel wichtiger als Erfolg oder Misserfolg. Die goldene Regel „Was du nicht willst, dass man dir tut,, das füg auch keinem andern zu!“ ist in diesem Alter noch sehr tief verwurzelt und muss nur selten in Erinnerung gerufen werden.

Sport stärke den Leistungswillen, aber ist es denn heute möglich, irgendeinem Sieger in irgendeinem Ausdauer- oder Kraftsport zuzujubeln, ohne diesen nicht gleichzeitig unter Dopingverdacht zu halten.

Ich denke, dass man hier bei jungen Athleten sich noch keine Sor­gen machen muss. Leider hat man aber fast immer bei gewissen Sportarten und sportlichen Leistungen in der absoluten Klasse dieses ungute Gefühl. Ich bin der Meinung, dass Dopingvergehen viel strenger zu ahnden wären.

Positiv betrachtet erfüllt Sport auch die Funktion eines gesellschaftlichen „Kitts“ und kann den Zusammenhalt stärken. Leider trifft aber immer wieder das Gegenteil zu.

Das Gegenteil konnte ich bis dato nur bei Mannschaftssportarten beobachten. Bei großen Fangruppen zeigt sich leider immer wieder eine Form des Fanatismus, welche alles andere als dem Sport zuträglich ist. Andererseits fehlt die Unterstützung in Rand- und Einzelsportarten und somit auch die finanzielle Stütze.

Soziales Denken oder Eintreten für die Schwächeren rücken gegenüber „sportlichen“ Werten wie Leistung, Disziplin, Jugend und Männlichkeit in den Hintergrund. Wie kann man dem entgegensteuern?

Beidem muss Platz gegeben werden. Leistung und Erfolg gibt es nur, wenn auch die entsprechende Unterstützung von allen Seiten vorhanden ist. Das gemeinsame Trainieren, das Helfen des Stärkeren an den Schwächeren und das gemeinsame Training binden alle aneinander. Dies muss aber in den verschiedenen Übungs­einheiten forciert und gefördert werden.

Was kann die Gesellschaft tun, damit Sport wieder zu dem wird, was er sein sollte?

Sport muss ehrlich und authentisch sein. Nur wenn Sport diese Kriterien erfüllt, kann er in Zukunft glückliche Athleten sowie beeindruckte Zuschauer hervorbringen. Jede Leistung und jede Form der körperlichen Bewegung haben einen bedeutsamen Wert und müssen als solche geschätzt werden. Sport bzw. sportliche Erfolge werden zu sehr kommerzialisiert, und dies stellt für mich die größte Gefahr für einen sauberen und glaubwürdigen Sport dar.

von Josef Prantl