Das Coronavirus stellt die Welt auf den Kopf und schürt tiefliegende Ängste in uns. Das Gruselige und vielleicht auch unheimlich Faszinierende am Coronavirus ist seine Unsichtbarkeit, seine Geschwindigkeit und die Angst vor der Ansteckung, die von der Krankheit ausgeht. Angst ist aber kein guter Ratgeber.
Das Virus geht uns nicht mehr aus dem Kopf. Nach wochenlanger Quarantäne, dem totalen Lahmlegen des öffentlichen Lebens – sogar der kirchlichen Feiern und Gottesdienste beginnen immer mehr Menschen Fragen zu stellen: Ist alles nur Panikmache? Steckt dahinter ein großer Plan? Kommt es zum Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems? Stehen wir vor dem Beginn einer Ökodiktatur, einem Krieg zwischen China und dem Westen? Im Internet kursieren genug Erklärungen für etwas, das uns urplötzlich erfasst hat. Fakt ist, dass das Sars-CoV-2-Virus weltweit sich innerhalb weniger Wochen ausgebreitet hat. Noch im Jänner schrieb das Robert-Koch-Institut darüber, dass „das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung derzeit eher gering ist“ und man davon ausgehe, dass nur wenige Menschen von anderen Menschen angesteckt werden können. Niemand hat sich damals vorstellen können, wie sich die ganze Welt in wenigen Wochen verändern wird. Dann erreichten uns die Bilder aus Bergamo, die Ansprachen Contes. Angela Merkels Fernsehauftritt im März sorgte für Aufsehen: „Es ist ernst. Seit der deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt,“ sagte die Kanzlerin im düsteren Ton.
Rund zwei Drittel der Menschen werden sich mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 anstecken. Die Zahlen nennen die Virologen, damit der sogenannte „Herdenschutz“ erreicht ist, also damit sich das Virus nicht mehr so leicht ausbreiten kann. In welcher Zeit dieses Infektionsgeschehen verläuft, hängt von vielen Faktoren ab. „Das kann durchaus zwei Jahre dauern oder sogar noch länger,“ erklärt Christian Drosten von Charitè Berlin. Problematisch wird es aber für das Gesundheitssystem, wenn das Ganze in komprimierter, kurzer Zeit auftritt. Darum muss alles getan werden, um beginnende Ausbrüche rasch zu erkennen und zu verlangsamen, lautet die weitläufige Meinung der Virologen und Epidemiologen.
Kritik beginnt sich zu regen
Solange kein Impfstoff bzw. keine Medikamente für die Behandlung vorhanden sind, sei dies der einzige Weg, ist auch bei uns die Meinung. Der Sarner Immunologe und ehemalige Hochschulprofessor Bernd Gänsbacher berät die Landesregierung und klärt seit Wochen die Südtiroler Bevölkerung auf. Mit einem Einsatz von Impfstoffen rechnet man in ein bis eineinhalb Jahren. Immer lauter werden aber auch die Stimmen, die Alternativen im Kampf gegen das Virus verlangen. Es kann nicht sein, dass einzig der nationale Gesundheitsdienst SSN in Italien, das Robert-Koch-Institut oder die John-Hopkins-Universität die Route vorgeben und als einzig verlässliche Quelle gelten. In einem offenen Brief der Bozner Journalistin Renate Holzeisen, den zahlreiche Südtiroler unterzeichnet haben, an die Landesregierung werden Fragen gestellt: nach der Verhältnismäßigkeit der restriktiven Maßnahmen, ihrer Wirksamkeit, der Rechtmäßigkeit der täglich gelieferten Datenlage. Kritik hagelt es auch an der Misswirtschaft im Sanitätsmanagement: notwendige Schutzausrüstungen, die fehlen; Chaos bei den Tests, die Organisation der neuen Bozner Covid-Intensivstation, die Altenheime, die vom Sanitätsbetrieb im Stich gelassen wurden. „Wir helfen uns derzeit mit Müllsäcken aus“, sagt eine Altenheimleiterin zu den fehlenden Schutzausrüstungen im Burggrafenamt.
Das Leben ist aber zum Glück kein Horrorfilm. Es gibt auch Lichtblick. Aus Corona nicht in die Vergangenheit zurückkehren, sondern mit ihren Fehlern brechen, fordern Jugendliche in ganz Italien.
Corona und die Altenpflege
„Die weiße Falsche Candeggina“
Drei Wochen im März hat der Untermaiser Norbert Pixner in einem Altersheim in Pavia ausgeholfen. Der Mitarbeiter für Integration an einer Landesberufsschule meldete sich freiwillig zu diesem Hilfseinsatz und erlebte drei Wochen voller Emotionen im Epizentrum der Corona-Epidemie in Italien. Rund 60 Heimbewohner hatte er zu betreuen. Mehr als die Hälfte der Kranken- und Altenpfleger waren im Heim ausgefallen, weil sie selbst infiziert waren, einige auch aus Angst vor dem Virus. In den wenigen Wochen starben zwei Dutzend der Heimbewohner an dem tödlichen Virus. Ein erschütternder Bericht von Norbert Pixner:
„Das Bild, das mich wahrscheinlich immer an diese grausame Krise erinnern wird, ist die weiße Flasche Candeggina, die ich über die Toten schütte: Diese eigenartig riechende Flüssigkeit, die ich langsam über einen Menschen schütte, der kurz zuvor noch gelebt hat. Jemand muss es tun. Es ist Vorschrift. Das grüne Tuch, das ich von den Operationssälen kenne, wird hier zum Totentuch. Die wenige Pietät, die ich diesem Menschen geben kann ist, eine Kerze anzuzünden, die hier nun so lange brennen wird, bis der Bestatter kommt und die Toten in den Holzsarg legt.
Das einsame Sterben
Die größte Katastrophe dieser Corona-Katastrophe ist die Einsamkeit. Das Sterben in Einsamkeit. Ein kurzes Innenhalten bei den hoffnungslosen Fällen, ein leichter Händedruck, vorher schnell noch die Hände desinfiziert und dann geht es weiter zum nächsten älteren Menschen, waschen, Windeln wechseln, ein paar aufmunternde Worte. Und davor wieder Hände desinfizieren. Ein Aufschrei, ein Weinkrampf: „Nein, Schluss mit diesem ständigen Sterben! Ich will nicht mehr!“, klagt meine Arbeitskollegin und steht da und ich habe nicht einmal bemerkt, dass der alte Mann tot ist. Ich versuche sie zu trösten. „Ein so lieber Mensch war er, immer freundlich und dankbar für jede Geste.“ Langsam verstummt ihr Weinen. Die Arbeit muss weiter gehen, sie weiß es. Nach fünf Minuten sind wir beim nächsten Heimbewohner, die Windel voll. Beim übernächsten versuchen wir über die schönen Urlaube im früheren Leben zu sprechen, die vielen Toten der vergangenen Tage im Hinterkopf.
Ja, die Arbeit muss weitergehen. Es fehlt an Personal. Fast zwei Drittel des Pflegepersonals sind ausgefallen, erkrankt, in Quarantäne, verängstigt. Die Medien schreiben über die Helden in den Krankenhäusern und Pflegeheimen. Auch mir wurde gedankt. Aber niemand von uns ist ein Held. Wir sind da, weil es unsere Aufgabe ist, weil es unsere Pflicht ist. Als ich vor drei Wochen gefragt wurde, ob ich aushelfen könne, habe ich nach einer unruhigen Nacht Bedenkzeit zugesagt. Anfangs habe auch ich die Krankheit belächelt, die Maßnahmen als übertrieben empfunden.
Welchen Wert hat das Leben noch?
Abgeschnitten von seinen Mitmenschen, von den Liebsten isoliert, in der Einsamkeit gefangen und umgeben von Menschen, die einem in ihren weißen Schutzanzügen wie Außerirdische begegnen: Wie muss sich ein alter Mensch fühlen? Die Mahlzeiten, ein in Italien fundamentaler Bestandteil des Lebens und wunderbares Kulturgut, wird reduziert auf eine große Spritze: „Bitte öffnen Sie den Mund, bitte essen Sie das.“ Irgendetwas in der Spritze, welches ich ganz langsam in den geöffneten Mund einführe und dessen Inhalt nach 10 Minuten im Magen landet. Ist das noch Leben? „Sie müssen essen, bitte essen Sie“. Ich bin wieder einmal hilflos. Andere haben schon die „Flebo“ hängen.
Hilflosigkeit
Und dann tauchen sie auch auf. Später, wenn alles ruhiger wird. Die Fragen. Habe ich alles richtig gemacht? Gefühlt hundert Mal am Tag die Hände desinfiziert, bei jedem Menschen die Handschuhe gewechselt? Und doch habe ich es einmal vergessen, habe ich das Virus übertragen, habe ich alles, wirklich alles getan, diese Hilflosen vor mir zu schützen? Die Fragen sind eine Last, denn sie bergen Verantwortung, sehr viel Verantwortung. Alle drei Stunden läutet mein Handy. Zeit, die Sauerstoffflaschen zu wechseln. Es ist wichtig nicht diesen Termin zu vergessen. Es ist überlebenswichtig: Sauerstoff, das Lebenselixier für viele der Heimbewohner.
Die schönen Momente
Es gibt sie auch, die schönen Momente: die Dankbarkeit der alten Menschen, ein Lächeln. Ohne die Freiwilligen des Roten Kreuzes und den vielen anderen Freiwilligen wäre vieles nicht machbar. Da ist zum Beispiel Rosella, die Sekretärin mit ihren zwei Schutzmasken, ihrem Glauben an Gott, in der Hand nicht das Weihwasser, sondern das Desinfektionsmittel, mit dem sie alles segnet. Es braucht sie, diese Menschen, die Verantwortung übernehmen, die bereit sind Hand anzulegen, wohlwissend, dass auch Fehler gemacht werden. Die da sind in dieser so schwierigen Zeit, auch wenn die eigenen Ängste nicht verstummen. Ich habe großen Respekt vor all den Frauen und Männer aus aller Herren Länder, die in unseren Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen ihrer Arbeit nachgehen, sich nicht drücken, sich nicht hinter Ausflüchten verstecken. Ihnen gebühren unsere größte Anerkennung und Dankbarkeit.
Corona und die Medizin
Gute Prozessabläufe in den Krankenhäusern sind sehr wichtig
Der gebürtige Algunder Lukas Prantl leitet in Regensburg das Hochschulzentrum für Plastische-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie. Auch an seiner Klinik erfolgten alle notwendigen Maßnahmen zur Unterstützung in der Behandlung von Covid-19 Patienten. Mehrere seiner Mitarbeiter haben sich in Intensivmedizin und Pulmonologie weitergebildet und können so im Notfall unterstützend eingreifen.
Die BAZ sprach mit Prof. Prantl über die Situation in Regensburg und das Corona-Virus.
Herr Prof. Prantl, wie geht es Ihnen zurzeit in Regensburg?
Lukas Prantl: In Regensburg sind wir sehr gut auf die Pandemie vorbereitet. Da der Freistaat Bayern anordnete, keine Behandlungen, die nicht unbedingt notwendig sind, mehr vorzunehmen, sind die Kliniken vergleichsweise leer. Die Anzahl der COVID-19- Patienten ist verhältnismäßig gering, derzeit sind durchschnittlich 20 Patienten beatmetet, wobei das Uniklinikum Regensburg ein Covid-19-Schwerpunktkrankenhaus ist, das für die Versorgung der gesamten Region zuständig ist und zudem auch Patienten aus Italien aufgenommen hat.
Wenn Sie in Ihre Heimat nach Südtirol blicken, wie sehen Sie die Situation dort?
Entscheidend für die rasche Ausbreitung des Virus sind Hotspots, wo Virusträger andere Personen durch die Nähe infizieren können. Südtirol hat durch die hohe Anzahl an in- und ausländischen Gästen ein hohes Risiko, dass ein derartiges Virus rasche Verbreitung findet. Daher war Südtirol auch bereits relativ früh von der Pandemie betroffen.
Deutschland hat im Unterschied zu Italien, Spanien, England oder den USA sehr wenig Todesfälle und das Gesundheitssystem scheint auf die Epidemie sehr gut vorbereitet zu sein. Alle Welt fragt sich, was die Deutschen besser machen?
Das hat viele Gründe. Zum einen konnte Deutschland in den meisten Bundesländern konsequent und noch rechtzeitig mit dem Lockdown beginnen, so dass eine rasche weitere Verbreitung des Virus verhindert werden konnte. Wenn Sie sich aber die Hotspots wie Heinsberg ansehen, war dort das Management auch kritisch. Allerdings ist das deutsche Gesundheitssystem deutlich besser aufgestellt im Vergleich zu Italien, Spanien oder England. Abgesehen von der deutlich höheren Anzahl an Bettenkapazitäten und vor allem an Intensivplätzen sind die Prozessabläufe in den deutschen Krankenhäusern seit Jahren optimiert, um eine sehr hohe Versorgungsqualität zu erzielen.
Die Meinungen der Wissenschaft zum Corona-Virus gehen weit auseinander. Wie denken Sie über SARS-CoV-2? Ist dieses Virus wirklich so gefährlich, dass sogar die Kirchen für die Gottesdienste und religiösen Feiern schließen müssen?
Ich bin kein Virologe, aber als Mediziner und Wissenschaftler sehe ich schon viele Dinge kritisch. Die Statistiken, die bezüglich der Todeszahlen, Infizierten und Geheilten geführt werden, bilden nicht die reale Situation ab. Es sind sehr vereinfachte Berechnungsmodelle. Auch bezüglich des Ursprungs des Virus ist vieles fraglich. Aus den bisherigen Beobachtungen ist die Gefahr am Virus zu sterben bei gesunden Patienten, die rechtzeitig behandelt werden, äußerst gering. Bezüglich des Wirkmechanismus gibt es verschiedene Hinweise und Theorien, allerdings ist aufgrund der Komplexität noch vieles unklar.
Massenquarantäne, Schließung von Schulen, weitgehende Einschränkung des öffentlichen Lebens, soziale Kontakte minimieren, flache Kurve, Reproduktionszahl unter Eins, Maskenpflicht, Corona-App sind im Moment die Mittel im Kampf gegen das Virus. Gibt es wirklich keine Alternative?
Ich finde, dass zu Beginn der Pandemie es wichtig war, das öffentliche Leben herunter zu fahren und auch die Bevölkerung aufmerksam zu machen, dass es sich hier um ein ernstes Problem handelt. Dies auch in Anbetracht, nicht die Kapazitäten der Krankenhäuser zu überfordern. Allerdings ist es jetzt notwendig, nachdem der Großteil der Bevölkerung verstanden hat, welche hygienischen Maßnahmen erforderlich sind, um möglichst die Ansteckungsrate gering zu halten, wieder zu einer angepassten Normalität zurück zu kehren.
Was sagen Sie Menschen, die Angst haben, sich mit dem Virus anzustecken?
Wichtig ist, dass den Menschen die Angst genommen wird und dass ihnen die Zuversicht gegeben wird, dass bei adäquater Behandlung und bei nicht schweren Vorerkrankungen die Wahrscheinlichkeit gering ist, an Covid-19 zu sterben. Ein gesunder Lebensstil mit Stärkung des Immunsystems ist von entscheidender Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist die Angst kontraproduktiv in der Krankheitsbewältigung.
Wann glauben Sie, werden wir wieder Normalität haben?
Sobald eine Herdenimmunität besteht oder es einen wirksamen Impfstoff gibt. Allerdings ist bei der geringen Ansteckungsrate die Herdenimmunität sehr unwahrscheinlich in absehbarer Zeit. Umso wichtiger wird es, dass in weitreichende Entscheidungsprozesse nicht nur Politiker und Virologen, sondern repräsentative Kommissionen und die Gesellschaft mit eingebunden werden.
Corona und der Tourismus
„So etwas hat es noch nie gegeben“
Alpina Tourdolomit ist mit 13 Reisebüros und 54 Mitarbeitern eines der größten Reiseunternehmen Südtirols. Seit November 2000 leitet Josef Gatterer die Alpina Tourdolomit mit 2 Büros auch im Burggrafenamt, in Meran und Lana. Der Tourismusexperte nimmt im BAZ-Interview Stellung zur Situation der Reisebranche in der Corona-Krise und blickt in die Zukunft.
Die Corona-Krise trifft die Reisebranche brutal. Wie geht es Ihnen in dieser schwierigen Zeit?
Josef Gatterer: Es geht mir persönlich gesundheitlich sehr gut und ich bin auch besonders froh, dass es auch allen Mitarbeitern gesundheitlich gut geht. Wirtschaftlich gesehen ist die Corona-Krise für uns ein Desaster. Der weitaus größte Teil der Mitarbeiterinnen ist in der Lohnausgleichskasse und jene, die reduziert im Einsatz sind, arbeiten chronologisch die Stornierungen ab. Die Arbeit ist zurzeit allerdings sehr chaotisch, da sich leider jeder Reiseveranstalter und jede Fluggesellschaft anders in Bezug auf die Stornierungen verhält. Wir müssen uns jeden Fall genau ansehen, um dann unsere Kunden bestens beraten und informieren zu können.
Sehen Sie die heurige Urlaubssaison als verloren an?
Jetzt schon zu sagen, die Sommersaison 2020 sei komplett verloren, würde ich so nicht stehen lassen, dafür bin ich ein zu großer Optimist. Die Frage, die wir aber jetzt schon beantwortet haben müssen, lautete ganz klar: Was dürfen wir wann und wie tun? Es wird bei niemandem Urlaubsfreude aufkommen, wenn er sich in einem Hotel oder in einer Ferienanlage befindet, die wie ein Krankenhaus organisiert ist. Sicher ist aber, dass es in Europa zu allererst die Bewegungsfreiheit wieder braucht. Sollte diese nicht kommen, ist vielleicht wirklich fast alles verloren.
Noch weiß niemand, wie lange genau die Corona-Krise andauert. Wie geht Alpina Tourdolomit damit um? Ihre Büros sind geschlossen. Wie soll es aber weitergehen?
Unsere Büros sind zurzeit geschlossen. Das heißt aber nicht, dass wir nichts zu tun haben. Wir müssen mit all unseren Kunden Kontakt aufnehmen und sie beruhigen, denn zurzeit gibt es von den meisten Veranstaltern und Fluggesellschaften nur Gutscheine für die geleisteten Anzahlungen und wir können so unseren Kunden auch nur diese anbieten. Mehrere Kunden sind mit dieser Vorgangsweise nicht glücklich, einige sogar sehr verärgert und drohen mit Rechtsanwalt, aber die meisten verstehen die Situation und sind beruhigt, wenn sie sehen, dass wir für sie da sind. Wie es weitergeht, kann ich heute noch nicht sagen, denn wir arbeiten zurzeit alle auf „Sicht“. Eines bin ich mir aber sicher: Es wird weiter gehen!
Dies ist nicht die erste Krise, welche die Reiseindustrie empfindlich trifft: Beispiele sind der Terroranschlag in Luxor 1997, der Anschlag auf das New Yorker World Trade Center 2001 oder der Tsunami an der Küste Thailands 2004. Nach Katastrophen bleiben die Touristen vorerst aus – aber je nachdem erholen sich die Zahlen sehr schnell wieder. Wie wird es diesmal sein?
Das ist zum heutigen Tag leider noch nicht zu beantworten, denn so eine Situation gab es noch nie.
Einstige Touristen-Hotspots wie Mailand, Paris oder Barcelona sind menschenleer. Hat uns das Coronavirus vom Massentourismus befreit? Ist die derzeitige Krise auch eine Chance, über Probleme nachzudenken, die der Tourismus mit sich bringt?
Ich bin absolut kein Anhänger vom sogenannten „Sanften Tourismus“. Dieser funktioniert nur in kleinen Nischen. Das Wort Massentourismus hat einen unbegründeten negativen Effekt. Sind wir uns doch einmal ehrlich: der Tourismus ist für Südtirol der Motor des Wohlstandes. Vom Tourismus hängt mehr oder weniger fast unser gesamter Wirtschaftskreislauf ab. Unseren Wohlstand haben wir unter anderem auch dem Tourismus zu verdanken. Wir könnten uns in Südtirol keine ca. 40.000 öffentliche Bedienstete leisten, die im Gesundheitswesen, der Pflege, der Schule, der öffentlichen Verwaltung usw. einen guten Dienst leisten, wenn wir nicht eine so große Wertschöpfung auch durch den Tourismus hätten. Das Sprichwort „Masse zieht Masse an“ hat schon einen Sinn, denn niemand sitzt gerne allein in einer Bar! Die meisten von uns werden wieder froh sein, wenn wir in Südtirol wieder viele Gäste sehen, die unser schönes Land besuchen und Zehntausenden Arbeit geben. Und wir werden alle gerne wieder in die Touristen-Hotspots nach Paris, Barcelona usw. reisen und glücklich sein, wenn wir dort zusammen mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen die Sehenswürdigkeiten bewundern können.
Ist es denkbar, dass Reisen teurer wird und nach Corona einen neuen Stellenwert erhält?
Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen. Alles hängt davon ab, wie die Einschränkungen sein werden. Einen Flieger, Bus oder einen Zug nur mit der Hälfte zu füllen, ist wirtschaftlich nicht tragbar, das muss auch die Politik einsehen.
Die Umsatzeinbußen im Tourismus sind jetzt schon sehr, sehr hoch. Können die Reisebranche und der Tourismus überleben?
Ich bin überzeugt, dass die Reisebranche überleben wird, denn das Reisen, das Entdecken, das Erleben, das Genießen, das Wohlfühlen gehören in unserer westlichen Welt nun einmal zu Grundbedürfnissen, die wir uns sicher nicht nehmen lassen!
Wann und wie werden wir wieder reisen können?
Auch das kann ich heute noch nicht beantworten. Ich hoffe, dass es Ende Juni wieder losgeht und wir uns wenigsten in Europa frei bewegen dürfen. Wie schon gesagt, es braucht Politiker, die den Mut zu Entscheidungen haben. Nur mit großen Einschränkungen zu leben und zu arbeiten, ist allerdings keine besondere politische Leistung.
Die Freiheit neu schätzen lernen
Gedanken zur Corona-Krise von Lukas Weger, Religionslehrer
Die Pandemie drängt uns Menschen ins Aus. Die Welt im Krisenmodus. Krisenzeit ist auch Wendezeit. Krise bedeutet entscheiden! Nun haben wir eine historische Chance, Zukunft zu gestalten. Was wollen wir von der alten Welt beibehalten, wo wollen wir etwas neugestalten? Mir fallen da ein: soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit in der Wirtschaft, Chancengerechtigkeit…
Jede Sekunde waren vor Corona rund 30 Millionen Menschen in der Luft. Wie weit ist der Flugtourismus in dieser Form noch tragbar? Und unser weltweites Finanzsystem, das Ungerechtigkeiten sondergleichen schafft: Wäre es nicht an der Zeit hier einzugreifen?
Das spannende an der Corona-Krise ist die „Leibhaftigkeit“. Wir denken wieder mehr an den Tod. Ein Naturgesetz und nicht Big Data gibt den Ton an! Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Natur selbst jeden Tag einer Corona-Pandemie ausgesetzt ist, verschuldet durch den Menschen. Beherzt ist nicht, wer keine Angst kennt, sondern wer sie kennt und überwindet. In welcher Gesellschaft wir morgen leben wollen, hängt vor allem auch von uns ab, von unserem Beitrag an Vernunft und Solidarität.
Ministerpräsident Armin Laschet sagte: „Es braucht Glück, politisches Geschick und den Willen, mit der Macht der Gewohnheit zu brechen.“ Der Philosoph Albert Camus sagte: „Es gibt keine Sonne ohne Schatten, und es ist wichtig, die Nacht zu kennen.“ Stellen wir uns die Welt nach Corona vor, in der wirklich einmal eingetreten ist, was noch in jeder Krise beschworen wurde: dass wir gestärkt daraus hervorgehen. Gestärkt und anders. Besser!
von Josef Prantl