Corona beherrscht uns. Schwierige politische Themen sind aus dem gesellschaftlichen Blickwinkel gefallen. Selektive Wahrnehmung nennt man das. Dabei sind die globalen Probleme wie Migration, Klimaerwärmung, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit nicht von der Bildfläche verschwunden. Täglich verhungern Kinder, sterben Menschen in Kriegen, schreitet die Umweltzerstörung voran.
Eine der großen Herausforderungen der Zukunft ist es, die biologische Vielfalt, also die Vielfalt von Leben auf unserem Planeten zu bewahren. Der Fachbegriff dafür lautet Biodiversität. Damit sind drei große Bereiche gemeint, die eng miteinander verzahnt sind: die vielfältigen Ökosysteme, also Lebensräume wie Wasser, Wald, alpiner Raum; die vielen Arten wie Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten wie etwa Rassen oder Sorten. Sie alle sind schon lange gefährdet.
Biodiversität ist die Grundlage guten Lebens
Es ist eine Tatsache: Die Artenvielfalt nimmt weltweit ab und geht verloren. Doch sind nicht nur Arten gefährdet, sondern ganze Lebensräume, welche die Biosphäre der Erde erhalten, wie etwa die tropischen Regenwälder. Regenwälder und die Nadelwälder der Nordhemisphäre sind nämlich die großen Sauerstoffproduzenten der Erde, die grünen Lungen der Erde und sie nehmen CO2 auf.
Der Regenwald ist darüber hinaus bekannt für seinen Artenreichtum, er ist ein Hotspot der globalen Artenvielfalt. Natürliche tropische Regenwälder in Südostasien und Südamerika wurden jedoch zu Soja- und Palmölplantagen oder Rinderweiden, und riesige natürliche Urwaldflächen wurden in den vergangenen Jahrzehnten gerodet. Ebenso dramatisch ist die Situation der Weltmeere, welche leergefischt wurden und mit Plastik zugemüllt werden. Korallenriffe der Tropen sind neben den tropischen Regenwäldern die artenreichsten Ökosysteme (allein 25 % aller bekannten Fischarten kommen in Korallenriffen vor). Die weltweiten Korallenriffe sind allerdings durch den Klimawandel bedroht.
Ursachen für den Biodiversitätsverlust
Wird ein Lebensraum durch menschliche Eingriffe, beispielsweise durch Waldrodung, Bebauung oder Änderung bzw. Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung verkleinert oder verändert, verliert er seinen Artenbestand ganz oder teilweise. Übernutzung, wie durch Überweidung, Überfischung und Bejagen oder Sammeln, verschlechtert Ökosysteme, was mit einem Verlust an Arten einhergeht (z.B. Übernutzung von Wiesen durch Intensivierung). Verschmutzungen belasten die Ökosysteme (Luft, Wasser, Boden). Pestizide aus der Landwirtschaft, der Eintrag von Stickstoff und Phosphor der Dünger in die Gewässer, von Nährstoffen in naheliegende Lebensräume mit Arten, welche auf nährstoffarme Umweltverhältnisse angewiesen sind, spielen für den Artenverlust eine entscheidende Rolle. Viele der ausgestorbenen bzw. gefährdeten Pflanzenarten sind auf nährstoffarme Standorte angewiesen. Invasive gebietsfremde Arten treten mit den natürlich vorkommenden Arten in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen. Sie können dadurch andere Arten oder ganze Artengemeinschaften verdrängen und Ökosysteme verändern.
Naturschutz und das Gesetz
Auf europäischer Ebene bilden die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie das Grundgerüst der heutigen Naturschutzpolitik. Im Jahr 2010 hat Südtirol mit dem Naturschutzgesetz die EU-Richtlinien übernommen und sich für einen nachhaltigen Schutz artenreicher Lebensräume sowie seltener Pflanzen- und Tierarten ausgesprochen. Der Verlust der Artenvielfalt in Südtirols Tier- und Pflanzenwelt wird in sogenannten „Roten Listen“ dokumentiert. Diese Listen sind aber mittlerweile 25 Jahre alt. Im heurigen Mai hat die Europäische Kommission die Biodiversitäts-Strategie 2030 vorgestellt. Inhaltlich gibt es ein klares Bekenntnis für die Ausweitung von Schutzgebieten und für einen wirksameren Schutz von artenreichen Lebensräumen. Für die Umsetzung der Ziele möchte die Kommission jährlich 20 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. In Südtirol würde dies zu einer Vervielfachung des zurzeit mehr als bescheidenen Naturschutzbudgets führen.
Was kann jeder von uns tun?
Eigentlich wissen wir es genau: Natürliche Ressourcen (Wasser, Boden, Luft, Rohstoffe, Artenvielfalt) sind die Lebensgrundlage auf unserem Planeten. Der wachsende Konsum und damit Verbrauch dieser Ressourcen bringen die Erde jedoch an den Rand ihrer Tragfähigkeit. In den entwickelten Ländern leben wir über unsere Verhältnisse. Wir sollten und können daher unser Konsum- und auch Freizeitverhalten überdenken. Lieber mit dem Fahrrad oder zu Fuß kurze Strecken zurücklegen und lange Strecken wie Langstreckenflüge vermeiden. Biologische und saisonale Produkte kaufen und kochen. Generell lieber weniger essen als zu viel. Tropische Regenwälder werden gerodet und zu Soja- oder Palmölplantagen, welche die Lebensmittelindustrie mit Rohstoffen versorgt. Die Tiere der Bauern Europas werden mit Kraftfutter aus anderen Kontinenten gemästet und landen als Billigfleisch im Einzelhandel. Der Verzicht auf Fleisch, die vegetarische Ernährung ist daher ein Beitrag zum Erhalt der Biodiversität. Die industrialisierte, konventionelle Landwirtschaft ist der Hauptverursacher für den Biodiversitätsverlust in Kulturlandschaften Europas. Ob Pestizide, die in Gewässer gelangen oder die Verseuchung von Grundwasser durch Nitrat: die negativen Einflüsse sind gravierend. Die biologische Landwirtschaft setzt nicht massiv Pestizide ein und nimmt Rücksicht auf die natürlichen Lebensgrundlagen. Beim Einkauf sollte daher biologisch angebauten Lebensmitteln der Vorzug gegeben werden. Einen direkten Beitrag zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt kann jeder auch leisten, indem er in seinem Garten der Natur Raum gibt: gewöhnliche Wiesenpflanzen wie Wiesensalbei, Kleearten, Wiesenmargariten usw. bieten vielen Insekten Nahrung und Lebensraum. Nicht mit exotischen Pflanzen, sondern mit einheimischen Arten, auch solche, welche sich spontan entwickeln und oft als Unkraut bezeichnet werden, kann man der Natur helfen. Der eigene Garten oder der Balkon können Lebensraum für natürlich vorkommende Tier- und Pflanzenarten sein. „Da alle Geschöpfe miteinander verbunden sind, muss jedes mit Liebe und Bewunderung gewürdigt werden, und alle sind wir aufeinander angewiesen“, erinnert uns Papst Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika (2015) mit dem Titel „Laudato si“.
Unverwechselbares Burggrafenamt
2019 startete Eurac Research das Projekt „Biodiversitäts-Monitoring Südtirol“. Dabei werden über einen Zeitraum von fünf Jahren die Flora und Fauna von 320 Standorten in Südtirol untersucht.
Über 5 Jahre wird im gesamten Land das sogenannte Inventar unserer Natur erhoben. Die flächendeckende Bestandsaufnahme ist sehr aufwendig, rund 10 Experten aus dem In- und Ausland sind für das Monitoring in Südtirol unterwegs, darunter Insektenforscher, Fledermausexperten, Bodenökologen und Spezialisten für Moospflanzen. Heuer liegt der Schwerpunkt auf dem Burggrafenamt. Die Ergebnisse und Erkenntnisse der Bestandsaufnahme von 6 großen Lebensraumkategorien dient nicht nur der Forschung, sondern soll auch die Grundlage für politische Entscheidungen zur Raumplanung, Landwirtschaft und zum Naturschutz liefern. 2019 wurden bereits 64 Standorte untersucht.
Die BAZ sprach mit den engagierten Eurac-Mitarbeitern Andreas Hilpold und Julia Strobl über ihre Arbeit im Burggrafenamt und die ersten Ergebnisse der Erhebungen im Meraner Raum.
BAZ: Corona bestimmt das heurige Jahr. Welchen Einfluss hat das Virus aber auf die Tier- und Pflanzenwelt?
Andreas Hilpold: Der direkte Einfluss ist relativ gering – die meisten Tier- und Pflanzenarten reagieren auf längerfristige Änderungen, etwa in der landwirtschaftlichen Nutzung oder auf Veränderungen des Klimas. Für manche Arten war der Lockdown aber wohl eine Verschnaufpause, etwa für Frösche, die nun ungestört die Straßen queren konnten, oder für verschiedene Hühnervögel, die ihre schwachen Energiereserven im Winter nicht für die Flucht vor Schneeschuhwanderern anzapfen mussten.
Wird 2020 also ein außergewöhnliches Jahr für die Natur?
Julia Strobl: 2020 ist vor allem ein außergewöhnliches Jahr für uns Menschen. Gezwungenermaßen hatten wir sehr viel Zeit zu beobachten, was vor unseren Fenstern so lebt. Ob es auch in Punkto Biodiversität ein außergewöhnliches Jahr war, werden die langjährigen Erhebungen zeigen.
Vor einem Jahr startete die EURAC in Zusammenarbeit mit dem Naturmuseum Südtirol und der Abteilung Natur, Landschaft und Raumentwicklung das Projekt „Biodiversitätsmonitoring Südtirol“. Worum geht es bei dieser groß angelegten Studie?
Julia Strobl: Beim Biodiversitätsmonitoring werden über einen Zeitraum von fünf Jahren 320 Standorte in ganz Südtirol und in vielen verschiedenen Lebensräumen untersucht. An all diesen Standorten untersuchen wir Pflanzen, Fledermäuse, Vögel und verschiedene Insektengruppen, wie etwa Tagfalter. Die untersuchten Gruppen reagieren allesamt sensibel auf ihre Umgebung, sind daher gute Indikatoren für Veränderungen in unserer Umwelt und deren Auswirkungen.
Erklären Sie uns doch bitte einmal das Wort „Biodiversität“ und warum sie für uns Menschen so wichtig ist?
Andreas Hilpold: Biodiversität umfasst die Vielfalt von Arten und Lebensräumen sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Wichtig ist Biodiversität zuallererst
, weil sie unsere Umgebung, unsere Landschaften bunt und lebenswert macht. Wohl keiner von uns möchte das Vogelkonzert im Frühjahr, den Teich mit Ringelnatter und Gelbbauchunke oder blumenbedeckte Bergwiesen missen. Daneben gibt es auch handfestere Argumente. Biodiversität ist ein genetischer Reichtum für uns und zukünftige Generationen, sie sichert das Funktionieren von Ökosystemen und macht unsere Umwelt stabiler.
Was sind die Ergebnisse der ersten Erhebungssession?
Julia Strobl: Begeistert hat uns vor allem, dass es uns in einer Saison gelungen ist, schon einen beträchtlichen Teil der bekannten heimischen Tier- und Pflanzenwelt zu erfassen – weit über 1.000 Arten insgesamt und über die Hälfte der Südtiroler Tagfalter-, Vogel-, Fledermaus- und Heuschreckenarten. Auch einige Neufunde konnten wir vermerken, wie eine für das Trentino-Südtirol neue Moosart.
Andreas Hilpold: Daneben sind bereits im ersten Jahr Muster klar geworden. Es wurde nochmals deutlich, wie wichtig Feuchtlebensräume für die Artenvielfalt sind, seien sie auch noch so klein. Auch hat sich gezeigt, wie artenreich extensiv bewirtschaftete Landwirtschaftsflächen sind, etwa Magerwiesen oder Weiden oder aber auch Reblandschaften. Wir sitzen aber auf einem großen Datenschatz, und die Auswertung hat gerade erst begonnen.
Zurzeit erheben Sie im Burggrafenamt das Naturinventar. Was fällt hier so Besonderes auf?
Andreas Hilpold: Im Burggrafenamt fällt zuallererst auf, dass es viele mediterrane Elemente gibt. Meran ist nicht nur für die Menschen das Tor zum Süden. Die Wälder rund um die Stadt sind durchsetzt mit Pflanzenarten, die in weiten Teilen der Alpen fehlen, angefangen von der Hopfenbuche bis hin zum Diptam. Bei der Tierwelt ist es genauso: vom Zürgelbaumfalter über die Provence-Schönschrecke bis hin zum Pirol, einer leuchtend gelb gefärbten Singvogelart. Außerdem gibt es im Burggrafenamt einen unglaublich starken Kontrast zwischen den Wärmeinseln im Tal und einer alpin geprägten Bergwelt der Texelgruppe. Dieser markante Gradient ist für Südtirol einzigartig.
Mit dem Projekt würde keiner Art und keinem Ökosystem geholfen: Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Andreas Hilpold: Wir sind eine kleine Gruppe von Forschern, deren direkter Einfluss auf die Biodiversität sehr begrenzt ist. Wirklichen Einfluss darauf hat die Gesellschaft als Gesamtes, besonders Landwirte und Wirtschaftstreibende und ganz besonders Politiker, die für die Gesellschaft Änderungen umsetzen. Unsere Aufgabe ist es Grundlagen zu liefern, sodass zukünftige Entscheidungen zu Raumplanung, Landwirtschaft und Naturschutz möglichst so getroffen werden, dass die Biodiversität erhalten oder gar gefördert wird. Es ist auch ein großes Anliegen, die Sensibilität für Biodiversität zu erhöhen – vom Volksschüler bis zum naturbegeisterten Senior. Mittlerweile ist das Interesse an der Natur sehr groß, das sieht man am Erfolg der Internetplattform iNaturalist oder an der City-Nature-Challenge, bei der die Bürger aufgefordert wurden, Tiere und Pflanzen in ihrer direkten Umgebung übers Smartphone zu erfassen.
„Die Natur und ihr lebenswichtiger Beitrag für den Menschen verschlechtert sich weltweit. Die Biodiversität nimmt schneller ab als jemals in der Geschichte der Menschheit zuvor“, so der Weltbiodiversitätsrat. Trifft das auch bei uns zu?
Andreas Hilpold: Auch in Südtirol verschwinden Arten. Ich habe selbst miterlebt, wie eine Heuschreckenart im Vinschgau verschwunden ist, weil eine Trockenaue nicht rechtzeitig unter Schutz gestellt wurde. Wenn man einen Blick in die Roten Listen unserer bedrohten Arten wirft, ist die Situation alarmierend. Natürlich ist die Dimension hier eine andere. Viele Dinge, die andernorts aktuell passieren, sind bei uns schon vor Jahrhunderten passiert, etwa die Umwidmung der Auen und Sümpfe unserer Talsohlen in landwirtschaftliche Gründe und in Siedlungsland. Auch dabei sind zahlreiche Arten verschwunden.
Neben dem Klimawandel soll der Verlust der Artenvielfalt die größte Bedrohung für den Menschen sein. Wie lässt sich das erklären?
Julia Strobl: Die Antwort auf diese Frage würde allein einen ganzen Artikel füllen. Einerseits kann nur eine intakte, artenreiche Natur uns die sogenannten Ökosystemleistungen, wie die Bestäubung durch Insekten, bereitstellen. Solche Leistungen sind für den Menschen unverzichtbar. Konkret ist die Artenvielfalt für die Medizin und die Landwirtschaft sehr wichtig. Unzählige Pflanzenarten bilden eine Grundlage für Arzneien und jedes Jahr werden neue Pflanzenstoffe mit medizinischem Nutzen entdeckt. In der Landwirtschaft sind die Wildformen unserer Kulturpflanzen oft resistenter gegenüber Umwelteinflüssen, wie Trockenheit oder Krankheiten und können uns als genetische Ressource dienen. Der Verlust der Artenvielfalt stellt somit auch einen Verlust dieses Potenzials dar, zukünftige Herausforderungen zu meistern.
„Die Menschen pflegen zur Natur oft eine sehr einseitige Beziehung: Ohne zu zögern, nehmen sie sich, was sie brauchen“, kritisieren Lukas Egarter Vigl und Ulrike Tappeiner im Südtiroler Klimareport 2018. Ist Ihnen im Meraner Raum dazu was aufgefallen?
Andreas Hilpold: Als Beispiel möchte ich die Landwirtschaft anführen. Sehr viele Südtiroler haben einen bäuerlichen Hintergrund. Über Jahrtausende war es das Täglich-Brot der
Bauernschaft, der Natur ein Überleben abzutrotzen. Die Mittel waren dabei über lange Zeit bescheiden. Für einen Wegebau standen Muskelkraft und maximal ein paar Ochsen zur Verfügung. Auf den Feldern wuchs nur das, was sich vor Ort auch ernähren konnte, aus dem verfügbaren Sonnenlicht und aus einem oftmals kargen Boden. Das hat sich in den letzten hundert Jahren radikal geändert. Mit einem Bagger ist ein Weg schnell errichtet, eine Wiese geebnet, mit Düngern aus der chemischen Industrie werden auch karge Böden fruchtbar gemacht und mit importierten Futtermitteln können mehr Tiere ernährt werden, als der Boden hergibt. All diese Muster finden wir auch im Meraner Raum. Ich denke, jeder Leser findet hier genug Beispiele vor der Haustüre. Besonders in Tourismus und Freizeitnutzung ließen sich hier ähnliche Beispiele anführen.
Menschliche Aktivitäten sorgen dafür, dass heute mehr Arten vom Aussterben bedroht sind als jemals zuvor. Haben Sie solche Beobachtungen auch im Burggrafenamt gemacht?
Julia Strobl: Gerade in der Stadt ist Verbauung ein zentraler Faktor. Diese passiert schrittweise und wird daher oft nicht so dramatisch wahrgenommen. Einmal wird hier die Straße verbreitert, einmal dort ein Gasthaus erweitert. Wenn man aber alte Luftbilder anschaut, sieht man, dass sich die Landschaft dramatisch verändert hat und sich vielerorts, wo einst naturnahe Lebensräume oder Kulturflächen zu finden waren, heute typische Vorortlandschaften befinden. Entgegenwirken kann man diesem Trend nur durch eine gute und durchdachte Raumordnungspolitik. Ansonsten schreitet das Sterben der Arten, die auf naturnahe Standorte angewiesen sind, weiter voran.
Besonders betroffen vom genetischen Verlust sei die Landwirtschaft. Warum ist dies so schlimm?
Andreas Hilpold: Wenn wir von Landwirtschaft reden, gilt es klar zu unterscheiden zwischen dem direkten Einfluss in der genetischen Vielfalt der Kulturpflanzen und der Nutztiere und dem indirekten Einfluss, den die Landwirtschaft auf die Vielfalt und Qualität von Lebensräumen hat. Dass mittlerweile südtirolweit über weite Flächen nur noch sehr wenige Kulturpflanzen angebaut werden, ist den Gesetzen des Marktes und einer effizienten Herstellung geschuldet. Letztlich hat hier der Konsument das Zepter in der Hand.
Worin liegen also bei uns die Ursachen für den Verlust der Biodiversität?
Andreas Hilpold: Die Ursachen sind vielschichtig und bei jeder Tier- und Pflanzengruppe unterschiedlich. Allerdings ist der Verlust von Lebensräumen eine Ursache, die für fast alle Gruppen wesentlich ist. Für wasserbewohnende Tiere sind etwa die Verbauung und Nutzung der Flüsse ein wichtiges Thema. Viele Vogelarten sind beinahe ganz verschwunden, weil Wiesen, die sehr intensiv bewirtschaftet werden, zu früh gemäht werden. Pflanzenarten leiden ebenfalls darunter, wenn Wiesen zu stark gedüngt und zu oft gemäht werden. Für die Natur ist es auch problematisch, wenn wir zwischen Meran und Bozen außer ein paar Spargelfeldern nur noch Apfelanlagen finden. Eine hohe Biodiversität entsteht auf der Landschaftsebene vor allem durch eine hohe Vielfalt an Lebensräumen. Wenn es hingegen nur noch ein einziges Habitat gibt, ist die Artenvielfalt überschaubar.
Was kann jeder Einzelne zum Erhalt der Biodiversität und zum Schutz der Ökosysteme leisten?
Julia Strobl: Die Frage ist gut formuliert, denn im Grunde ist es wirklich so, dass jede einzelne Person zum Erhalt unserer Artenvielfalt beitragen kann. Bereits Maßnahmen, wie der Erhalt einer
Blumenwiese, anstelle des englischen Rasens im Garten, das Pflanzen einer Hecke oder eines Baumes, fördern die botanische Biodiversität, welche ihrerseits Nistplätze und Futtergrundlagen für Insekten und andere Tiere bereitstellt.
Hat man einen Balkon oder Fenstersims zur Verfügung, können auch dort insektenfreundliche Blumen gepflanzt werden, die ganz nebenbei unseren eigenen Lebensraum verschönern. Wenn man sogar die Möglichkeit hat, einen Gemüsegarten anzubauen, können auch dort alte Sorten ausgebracht und weitergezogen werden, dadurch schützen wir alte Kultursorten vor dem Verschwinden.
Daneben muss uns allen bewusst sein, dass wir durch unser Konsumverhalten Biodiversität gefährden können, indem wir Produkte kaufen, welche die Umweltzerstörung vorantreiben, sei es hier vor Ort, sei es auch in entfernten Anbaugebieten. Wenn ich Billigfleischprodukte kaufe, muss mir klar sein, dass die Tiere mit Futtermitteln gefüttert wurden, für die riesige Waldflächen zerstört wurden. Andererseits ist es nicht zielführend die Verantwortung nur beim Verbraucher zu sehen. Die Politik sollte Rahmenbedingungen, die diese Art von Produktion erlauben, nicht zulassen. Wir leben in einer Demokratie und haben dadurch Möglichkeiten eine umweltfreundliche Politik einzufordern – nicht zuletzt über unser Stimmverhalten an der Wahlurne.
von Josef Prantl
Eisvogel, Mohrenfalter und Wiedehopf
Besonderheiten im Burggrafenamt von Julia Strobl
Bereits 2019 untersuchten die Forscher einige Erhebungsstandorte im Burggrafenamt. Darunter fand sich die Industriezone Untermais, die als Lebensraum „Siedlungsgebiet“ untersucht wurde. „Wie erwartet haben wir dort einige für Siedlungsgebiete typische Arten, wie den Italiensperling, die Amsel, den Gartenrotschwanz oder die Wacholderdrossel erhoben“, erklärt der Eurac-Ornithologe Matteo Anderle. Insgesamt konnte er immerhin 12 Vogelarten in dem Gebiet vermerken. Die für eine Industriezone vielen Arten erklärt der Experte mit dem hohen Anteil an Grünflächen und Gärten in dem Gebiet.
Auch die Ergebnisse der Fledermaus-Expertin Chiara Paniccia können sich sehen lassen: sie konnte mithilfe von Ultraschallaufnahmegeräten, den sogenannten „Batloggern“, insgesamt 10 Arten in der Industriezone identifizieren. „In Städten finden wir oft eine hohe Anzahl an Fledermausarten, besonders in kleinen Städten wie Meran, die viele Grünflächen aufweisen“, erklärt Paniccia. Doch seien die Arten, die hier vorkommen, meist Generalisten, die sich leicht an die vom Menschen geschaffenen Lebensräume anpassen, oder sich diese gar zunutze machen können. So können die Lichtquellen von Straßenlaternen, die Insekten anziehen, nützliche Partner in der Nahrungsfindung für einige Fledermausarten sein.
Andere Fledermausarten hingegen meiden die Laternen komplett. „Raritäten und Spezialisten, die heute oft bedroht sind, finden wir hingegen primär in naturbelassenen Gebieten“, fährt die Expertin fort. Auch im aktuellen Erhebungsjahr haben die Experten bereits einige Besonderheiten gesichtet. Unter anderem untersuchen die Experten 2020 zwei Obstanlagen, eine bei Schenna und eine bei Tscherms, eine Heuwiese und eine Weide im Passeiertal, weiters einen Weinberg bei Dorf Tirol und eine Auwaldfläche bei Lana. Dort konnte der Ornithologe Anderle den seltenen Eisvogel, der dort einen wertvollen Rückzugsort gefunden hat, beobachten. Daneben konnte er auch je einen seltenen Vertreter der Neuntöter und der Orpheusspötter vermerken. Ob es sich bei letzterem um einen durchziehenden Vogel handelte, oder um einen der letzten in Südtirol brütenden, ist nicht klar. Außerdem konnten die Experten bei ihren Erhebungen im Burggrafenamt einen Wiedehopf beobachten, ein selten gewordener Vogel in unserem Land. Der Entomologe und Wahlmeraner Elia Guariento untersucht hingegen die Tagfalterfauna der Monitoring-Flächen im Burggrafenamt. Als besonders artenreich erwies sich bislang eine Trockenweide bei Saltaus: bereits nach zwei der vier Erhebungstermine konnte er 10 verschiedene Arten beobachten, darunter den nicht häufigen Rundaugen-Mohrenfalter.