In Wien hat es anscheinend nur für eine Gasse gereicht. In Innsbruck werden sogar Studien- und Adelstitel genannt. In Meran ist es schlicht die Karl-Grabmayr-Straße, die an einen der bedeutendsten Tiroler Politiker des frühen 20. Jahrhunderts erinnert.
Ein Apfel am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Angesichts der polemischen Schärfe mancher Leserbriefe ein nicht schlechter Tipp – egal, ob es sich um den gekreuzigten Frosch mit Bierkrug und Ei, die üppigen Rentenvorschüsse der heimischen Politiker oder die Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie handelt. Früher war es nicht anders. 1899 veröffentlichte Julius Perathoner, letzter deutscher Bürgermeister von Bozen, eine hochaufgeregte Stellungnahme in der „Bozner Zeitung“. Er müsse sich zur Wehr setzen, sein Widersacher hätte sich so weit vergessen, ihm „geradezu den Vorwurf der Lügenhaftigkeit öffentlich ins Gesicht zu schleudern“ und das „landesübliche Durchschnittsmaß der Verdrehung“ sei mehr als überschritten. Er, Perathoner, könne kein Wort zurücknehmen, „ohne mit der Wahrheit in Widerspruch zu gerathen“. Der hier Angegriffene ist ebenso prominent wie der Schreiber und ebenso ein Aushängeschild der Tiroler Politik: Karl Grabmayr.
Ein Leben für die Politik
Karl Maximilian von Grabmayr entstammte einer alten Tiroler Juristenfamilie. Er wurde am 11. Februar 1848 in der Bozner Mustergasse als Sohn des Johann und seiner Frau Josefa von Rutter zu Malis geboren. Nach dem Studium der Rechte in Innsbruck war er zunächst in der Kanzlei seines Vaters tätig. Einem kurzen Aufenthalt in Wien folgte die Eröffnung des eigenen Anwaltsbüros in Meran. Neben seiner juristischen Arbeit beschäftigte er sich mit sozial- und agrarpolitischen Themen und begann sich aktiv zu engagieren.
Er wurde zuerst in den Tiroler Landtag, später in den Reichsrat gewählt, dem österreichischen Parlament der Doppelmonarchie. Mit seiner Übersiedlung nach Wien begann eine beeindruckende Karriere in verschiedenen politischen Institutionen. Er gilt als Vater des Tiroler Grundbuches und hat maßgeblich an der Ausarbeitung des Tirolischen Höfe- und Anerbenrechts mitgewirkt. In Nordtirol ist es heute noch gültig, südlich des Brenners wurde es unter den Faschisten außer Kraft gesetzt. Das nach dem Zweiten Weltkrieg erlassene Südtiroler Höfegesetz stützt sich auf seine Grundsätze. „Excellenz Dr. Karl v. Grabmayr“, wie der Pfarrer im Totenbuch vermerkte, starb 1923 nach einem arbeitsreichen Leben in Obermais.
Das beliebteste Obst der Südtiroler
Doch Grabmayrs Einsatz galt nicht nur der Politik. Zusammen mit dem Kaufmann Sigmund Freudenfels und dem Weinhändler Arthur von der Planitz gründete er die Meraner Calville-Exportgesellschaft. Der Weiße Winter-Calville, auch Französischer Quittenapfel oder Italienischer Gulderling genannt, gehörte im 19. Jahrhundert zu den beliebtesten Tafeläpfeln in Tirol. Sogar rund um seine Obermaiser Villa ließ Grabmayr Calville-Bäume pflanzen. Der intensiv-fruchtige, süß-säuerliche Apfel mit feinem Erdbeer-Aroma wurde aber auch anderenorts geschätzt. Selbst der russische Zar in St. Petersburg gehörte zu den Genießern der geschmackvollen Sorte.
Die strengen Sortiervorschriften machten sich zwar im Preis bemerkbar, änderten aber nichts an der Beliebtheit des ungekrönten Königs der Südtiroler Äpfel. Der Sitz des Unternehmens, das zu den Pionieren des Obstexports in Tirol gehörte, befand sich in der heutigen Karl-Grabmayr-Straße in Untermais.
Christian Zelger