Das Projekt „#Zomholten“ hat hohe Wellen geschlagen und erhielt auf Facebook innerhalb kürzester Zeit über 23.000 Mitglieder. Doch dann wurde Kritik an den Organisatoren der Gruppe laut. Unbürokratisch und schnell zu helfen, vor allem Menschen, die in dieser schwierigen Zeit kein soziales Netz haben, das sie auffängt, ist eigentlich eine gute Sache.
von Josef Prantl
Die Essensausgabe „Clara“ bietet Bedürftigen einmal am Tag einen Platz am Tisch in einer freundlichen Umgebung und ein warmes, gesundes Essen an. Ein Team von Freiwilligen heißt die Gäste täglich willkommen und verteilt die Abendessen. Der „Elisabeth-Verein“ führt die „Kleiderstube“ in Lana. Gut erhaltene, gebrauchte Kleidung, Wäsche u. ä. kann dort abgegeben werden und die Bevölkerung kann diese mitnehmen. In Zusammenarbeit mit dem „Banco Alimentare“ und dem Sozialsprengel verwaltet der Elisabet-Verein auch eine sogenannte Lebensmitteltafel, bei welcher Lebensmittel an bedürftige Menschen verteilt werden – auch gespendete Lebensmittel. „Essen auf Rädern“ gibt Senioren, Menschen mit Behinderung und Menschen in schwierigen Lebenslagen die Möglichkeit, über die Hauspflege zumindest einmal am Tag eine warme Mahlzeit ins Haus zugestellt zu bekommen. Direkt neben der Algunder Kirche gibt es den „Tausch-Verschenk-Treff“. In zwei Ausstellungsräumen und in einem Lagerraum findet fein geordnet jede Art von Kleidung, Handtüchern, Bettwäsche, Schuhen, Kinderspielsachen und das eine oder andere Haushaltsgerät seinen Platz. Alles ist gratis! Jeder darf pro Besuch fünf Teile kostenlos mitnehmen. Meraner Stadtverwaltung und Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt beteiligen sich seit mehr als 10 Jahren am Projekt „Siticibo“: Der Verein „Banco Alimentare del Trentino Alto Adige“ sammelt unentgeltlich Lebensmittel, die sich nahe am vorgegebenen Haltbarkeitsdatum befinden oder im schlimmsten Fall ästhetisch beeinträchtigt sind, von Handels-, Industrie- und Herstellungsbetrieben und verteilt diese dann kostenlos an Vereine, Sozialeinrichtungen und bedürftige Menschen.
Was können wir aus der Geschichte lernen?
Es war eine der verheerendsten Seuchen der Menschheit: Bis zu 50 Millionen Tote weltweit forderte die Spanische Grippe 1918 und 1919. Es gibt viele Parallelen zum aktuellen Coronavirus. Viele Menschen verarmten damals. Um solch ein Szenario zu verhindern, müssten jetzt die sozialen Sicherungssysteme genutzt und so angepasst werden, dass sie Menschen unbürokratisch und schnell helfen, lautet die Forderung vieler Experten. Länder, die vor rund 100 Jahren über starke soziale Sicherungssysteme verfügten, wurden besser mit den Folgen der Grippe fertig, weil eine starke Verarmung der Bevölkerung verhindert und die Binnennachfrage gestützt wurde.
Um einen massiven Anstieg der Armut zu verhindern, sollten also die bestehenden sozialen Sicherungssysteme umfangreich genutzt und ausgebaut sowie arme Bevölkerungsgruppen großzügig mit finanziellen Mitteln schnell unterstützt werden, so die Schlussfolgerung aus den Erfahrungen mit der Spanischen Grippe. Dann ließen sich zumindest die gravierendsten ökonomischen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie eindämmen.
Wie stark ist unser soziales Netzwerk?
In Südtirol gibt es rund 300 soziale Einrichtungen, davon an die 60 im Burggrafenamt. Stefan Frötscher war lange Zeit Sozialreferent der Stadt Meran. Die „BAZ“ sprach mit ihm, wie sich unser Sozialsystem in der Pandemie bewährt und was für die kommende Zeit nötig wird.
Das Facebook-Projekt „#Zomholten“ schlug hohe Wellen. Mehr als 23.000 Menschen sagten innert kürzester Zeit ihre Unterstützung zu. Die Initiative wurde von den Medien zuerst hochgepriesen, dann aber geriet sie ins Kreuzfeuer der Kritik, nachdem der Organisation einige Ungereimtheiten vorgeworfen wurden. Zurecht?
Stefan Frötscher: „Zusammenhalten“ ist wirklich das Gebot der Stunde. Ohne werden wir diese Pandemie nicht überstehen. Was die vergangenen Monate gebracht haben: Wir sind – trotz vieler Ängste und Sorgen – näher aneinandergerückt. Dies, obwohl wir Distanz bewahren müssen. Viele sorgen sich um ihre Mitmenschen. Und helfen ihnen. Meist recht spontan. Solidarität, die von Herzen kommt. Dass diese Hilfe heute auch über die sozialen Netze organisiert wird, das ist zeitgemäß. Und hilft, wirklich schnell zu helfen. Jedem, der gibt, dem ist zu danken! Ein korrekter und transparenter Umgang mit Spendengeldern ist aber ein Muss! Was mich stört: Hilfsorganisationen wie Caritas oder Vinzenzgemeinschaft, die seit vielen Jahrzehnten unermüdlich helfen, wird jetzt die Hölle heiß gemacht; so nach dem Motto: Deren Hilfe komme nicht an! Da schreien jetzt viele, die keine Ahnung haben. Diejenigen, die von den genannten Organisationen unterstützt wurden, sind da sicher anderer Meinung. Notleidenden nach eigener Möglichkeit zu helfen, das sollte man als eine Verpflichtung sehen, der man still nachkommt. Es sollte nicht darum gehen, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Außerdem ist ein Konkurrenzkampf zwischen Menschen, die freiwillig helfen wollen, einfach nur dumm: Es gibt nicht eine gute oder eine schlechte Unterstützung! Wir brauchen, gerade jetzt, jede Hand!
Den Menschen, den zahlreichen Familien, die durch die Corona-Krise in Not geraten, die in die Armut gerutscht sind, schnell und unbürokratisch helfen, wäre das nicht wichtig?
Schnelle und unbürokratische Hilfe war schon vor der Corona-Pandemie wichtig. Wir befinden uns jetzt in einer Situation, die es in dieser Form und in diesem Ausmaß noch nie gegeben hat. Wir können auf keinerlei Erfahrungen zurückgreifen, wie diese Krise zu bewältigen ist. Worüber wir aber gerade in Südtirol verfügen, das ist ein engmaschiges soziales Netzwerk. Anderswo gibt es das nicht. Ich meine, die vielen Einrichtungen auf Gemeinde-, Bezirks- und Landesebene und die wirkliche umfangreiche Freiwilligenarbeit, die organisiert und individuell erfolgt. Und nicht zuletzt gibt es bei uns noch, und diese ist besonders wertvoll, die gelebte Nachbarschaftshilfe. Da wird ganz spontan geholfen, wenn Hilfe benötigt wird. Ohne mit der Wimper zu zucken: Viele Menschen haben die Augen offen – und schauen nicht weg! Momentan schaut’s aber so aus, als ob das alles nicht reichen wird. Die Krise wird sich noch verschärfen… Da bleibt wirklich zu hoffen, dass die Landespolitik das umsetzt, was sie versprochen hat. Es braucht finanzielle Unterstützungen. Und es müssen klare Perspektiven aufgezeigt werden!
Sozialarbeit liegt Ihnen im Blut, als Bezirkssekretär des Katholischen Verbandes der Werktätigen und dann 10 Jahre als Merans Sozialstadtrat. Wie bewährt sich unser Sozialsystem in dieser Krise?
Trotz massiven Einsatzes aller Beteiligten reicht es hinten und vorne nicht. Und doch funktioniert sehr viel. Wir sehen aber – das ist irgendwie menschlich – nur das, was nicht klappt. In Meran wurde lange Zeit, was nicht selbstverständlich ist, eine sehr gute Sozialpolitik betrieben. Vor allem war man vorausschauend. Hat sich mit künftigen Szenarien beschäftigt… an eine Corona-Pandemie hat aber niemand gedacht. Dabei wurden sehr viele Einrichtungen geschaffen, Initiativen unterstützt und Maßnahmen finanziert. Es ist gelungen, öffentliche Gelder für den Sozialbereich frei zu machen. Das war immer schon ein Kampf. Meines Erachtens wird dieser künftig wichtiger, aber nicht einfacher. Leider sind Wirtschaft und Tourismus mittlerweile tonangebend. Man braucht nur einen Blick in die Medien zu werfen. Diese Bereiche sind absolut wichtig, auch sie leiden unter der Krise: Sie werden diese aber ohne eine funktionierende Sozialpolitik nicht bewältigen können! „Geht’s der Wirtschaft gut, dann geht’s allen gut“ – dieser Satz wird von den Lobbyisten gebetsmühlenartig wiederholt.
Ich sehe das anders: Geht’s den Menschen gut, dann wird’s auch den Betrieben gut gehen. Auch wenn sich diese allmählich wirklich davon verabschieden müssen, dass der Zweck des Wirtschaftens einzig und allein der Profit ist!
Den Arbeitnehmern in der SVP wird vorgeworfen, sie würden gerade jetzt schweigen. Dabei sind die vielen Arbeitnehmer in den stark betroffenen Branchen wie Tourismus, Handel oder Gastronomie besonders betroffen. Wer kämpft für sie, wenn es um die Verteilung der Hilfsgelder in Zukunft geht?
Es ist ja nicht so, dass die SVP-Arbeitnehmer nichts tun. Ich behaupte sogar, sie arbeiten recht gut. Voran die Vorsitzende Magdalena Amhof und die Landesrätin Waltraud Deeg sind Garanten für eine ausgleichende Sozialpolitik. Sie kämpfen für die „soziale Sache“. Auch in den Gemeinden haben wir sehr, sehr viele Personen mit großer sozialer Sensibilität, die entsprechende Maßnahmen umsetzen. Diesen stehen aber scheinbar übermächtig die großen Wirtschafts- und Tourismusverbände gegenüber, die sich Tag für Tag über die Medien zu Wort melden. Mit Forderungen. Mit Druck. Ich will es nicht schönreden: Die SVP-Arbeitnehmer sind zwar da und durchwegs engagiert – aber ihr Tun wird leider nicht mehr so richtig wahrgenommen. Sie werden, teilweise zu Recht und teilweise zu Unrecht, nicht mehr als Vertretung des ‚einfachen Mannes bzw. der einfachen Frau‘ gesehen. Vertrauen ist verloren gegangen. Ebenso das gemeinsame sozialpartnerschaftliche Ziehen an einem Strang. In der Politik gibt sich heute jeder und jede als ‚sozial‘ aus: In Wirklichkeit sind es dann aber nur sehr wenige. Sozialpolitiker sein, das heißt sich für die Schwächeren in der Gesellschaft einzusetzen. Nicht Lobbyist für einige Privilegierte sein. Solche Menschen gibt es zwar noch, es zieht sie aber nur noch selten in die Politik. Sie betätigen sich anderswo. Da entsteht gerade aber ein sehr gefährliches Vakuum. Eben weil es viele Schwache in der Gesellschaft gibt – infolge der Corona-Pandemie werden noch viele dazukommen. Ich will bei Gott nicht behaupten, dass früher alles besser war. Und auch keinen neuen Klassenkampf heraufbeschwören. Aber von den alten Sozialpolitikern könnte man sich immer noch eine Scheibe abschneiden. Alle anderen „Interessensvertretungen“ haben sich weiterentwickelt. Auch die Wirtschaft wird sich neu erfinden müssen. Wir müssen das auch tun – es braucht uns nötiger denn je!
Wie sollte unser Land, wenn es nach Ihnen ginge, in einigen Jahren aussehen?
Nichts wird so sein wie es einmal war: Wir werden aber zu einer veränderten Normalität zurückkehren. Unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Miteinander wird nach der einschneidenden Corona-Pandemie auf jeden Fall ein anderes sein – der Mensch ist diesbezüglich wandlungsfähig. Und wird sich künftig mit dem Wandel auch nicht mehr so schwertun. Auch wenn viele als Verlierer aus der Krise gehen werden. Und die Kluft zwischen Arm und Reich größer werden wird. Immer mehr Konsum, immer mehr Wohlstand, immer mehr Profit…
Das wird es aber nicht mehr geben! Eigentlich wissen wir schon lange, dass das „Wachstum“ seine Grenzen hat. Wir werden nun endlich über den wahren Sinn des Wirtschaftens nachdenken – und neue Wege finden: Dabei wird auch das Soziale und das Ökologische eine ganz neue Rolle spielen. Unsere Lust auf immer weitere Fernreisen und immer größere Autos wird geringer werden, wir werden „Shoppen“ nicht mehr als primäre Freizeitbeschäftigung ansehen, wir werden ein nettes Treffen im kleinen, gemütlichen Kreis anonymen Massenveranstaltungen vorziehen, wir werden nicht mehr unentwegt der ständigen Technisierung hinterherlaufen, wir werden ein neues Verhältnis zu Geld und Luxus entwickeln, wir werden die Familie und Freunde, Haus und Hof wieder neu entdecken… wir werden die kleinen Dinge des Lebens mehr schätzen! Vielleicht nehmen wir uns auch wieder die Zeit, ein Buch zu lesen. Und anderen zuzuhören. Wir werden bewusster leben! Näher an der Natur, näher am Menschen. Entschleunigt! Achtsam! Und somit hoffentlich auch glücklicher.
Das Lokale wird wichtiger als die globalisierte Welt sein.
Es braucht kreative Ideen und neue Lösungen
Vor allem ältere Menschen haben es in der Zeit der Corona-Pandemie besonders schwer. Denn sie sind den ganzen Tag alleine in ihrer Wohnung. Sie verlassen diese nur zum Einkaufen.
Besonders in schwierigen Zeiten kann eine Massage Balsam für die Seele und wohltuend für den Körper sein. Auch die Abwehrkräfte können dadurch gestärkt werden. Ildikò Dzuban führt in Algund ein kleines Massagestudio. Sie hat seit dem Lockdown fast keine Kunden mehr. Die Masseurin hat sich an der „Akademie St. Paul“ zur „Spiritualin“ ausgebildet, eine Art geistliche Begleiterin, und eine spezielle Massagetechnik entwickelt: die „Angel-Flow-Chakren-Massage“.
Die BAZ sprach mit ihr über ihre Arbeit zwischen „Öffnen und Schließen“.
Wie erleben Sie die derzeitige Situation?
Ildikò Dzuban: Es ist Stillstand. Es herrscht eine Ungewissheit. Den Menschen fehlt die Sicherheit, es gibt keine Transparenz bei den täglich wechselnden Verordnungen. Die Zukunft ist ungewiss. Viele haben Angst. Angst aber lähmt Gedanken und Handlungen.
Welche Einbußen mussten Sie in Kauf nehmen?
Mir fehlen die sozialen Kontakte. Ich fühle mich isoliert und im Stich gelassen. Die sich ständig ändernden Vorschriften und die täglich neuen Nachrichten verunsichern mich. Und auch meine Kunden werden dadurch zunehmend ängstlicher und vermeiden es zu mir zu kommen. Sie möchten kein Risiko eingehen. Deshalb habe ich zurzeit auch kein geregeltes Einkommen.
Welche Unterstützung haben Sie erhalten?
Die zweimaligen Unterstützungsmaßnahmen im vergangenen Jahr durch den Staat reichen bei Weitem nicht aus, denn sie decken nicht einmal meine monatlichen Fixkosten.
Je mehr ich nicht arbeiten darf, umso größer werden meine Ausfälle. Die Kunden bleiben aus, Stammkunden verliere ich so langsam auch. Und somit auch meinen Verdienst, den ich seit einem Jahr nicht mehr habe. Für uns Kleinunternehmer und kleine Selbständige gibt es auch keine Landesbeihilfen.
Wie sehen Sie die Zukunft für Kleinunternehmer und Selbständige?
Kleinunternehmer, aber vor allem Ein-Mann-Unternehmen brauchen, um in Zukunft überleben zu können, vor allem steuerliche Erleichterungen. Jetzt ist es Zeit, das Steuersystem und Steuerrecht von Grund auf zu überdenken und zu erneuern. Es braucht neue Maßstäbe und zukunftsorientierte Werte für einen erfolgreichen Neustart.
Finanzielle Unterstützungen alleine reichen nicht mehr aus. Es müssen auch gewinnbringende Lösungen und vor allem zukunftsorientierte Möglichkeiten geschaffen werden. Denn die Welt, wie wir sie bisher kannten, existiert seit dem „Lockdown“ nicht mehr. Deshalb brauchen wir für die kommende Zeit neue Wege, fruchtbare Strategien und kreative Ideen.