Der 25. März wird in Italien zum Gedenktag für Dante Alighieri. „Dantedì“ taufte ihn kurzerhand Italiens Kulturminister Dario Franceschini. Vor 700 Jahren starb der große Dichter und Philosoph in Ravenna. Die „Divina Commedia“ gehört zum Weltkulturerbe. Dass ein Ultner Dantes „Commedia“ ins Deutsche übertragen hat, ist weniger bekannt.
von Josef Prantl
Im Italienischunterricht an der Oberschule kommt man an Dante nicht vorbei. Auch wenn ich damals nicht viel davon verstanden habe, schon die Kapitelüberschriften „Inferno“, „Purgatorio“ oder „Paradiso“ übten ihren Reiz aus. Am meisten natürlich das „Inferno“: Wer war denn da alles in der Hölle?
Das heurige Jubiläumsjahr
2021 ist das Dantejahr. Italien feiert den 700. Todestag eines seiner größten Genies. Zusammen mit Giovanni Boccaccio, dem Verfasser des Decameron, und Francesco Petrarca, dem Dichter und Humanisten, gehört Dante zu den „Drei Großen“ der frühen italienischen Literatur. Geboren 1265 in Florenz hatte er ein äußerst bewegtes Leben und war zugleich ein sehr produktiver Schriftsteller. Sein Hauptwerk ist die „Göttliche Komödie“. Der Titel „Divina Commedia“ stammt nicht von ihm. Dante selbst wählte schlicht „Commedia“. Verstanden habe ich allerdings nie so genau, warum Dante sein Epos „Komödie“ nennt. Vielleicht, weil alles ein gutes Ende hat, weil Dante in der toskanischen Volkssprache und nicht im Gelehrtenlatein des Mittelalters schreibt? Kurz gefasst schildert der Dichter seine Wanderung durch das Jenseits. Als Lebender durchschreitet er gemeinsam mit Vergil die Hölle und das Fegfeuer (eigentlich den Läuterungsberg) und von Beatrice und dem Heiligen Bernhard begleitet kommt er bis in das Paradies, wo er Gott selber erahnen darf.
Ein Ultner übersetzte die Divina Commedia
Überrascht hat mich die Tatsache, dass ein Ultner die „Divina Commedia“ übersetzt hat. Blasius Marsoner aus St. Pankraz übertrug die gesamte „Göttliche Komödie“ in vierzeilige, paarreimige Strophen, wobei das Nibelungenlied wohl Pate stand.
Wollte man die Bedeutung Dante Alighieris für Italien auf Deutschland übertragen, müsste man sich Goethe und Luther als eine einzige Person vorstellen, die obendrein noch das Nibelungenlied geschrieben hat. Dante gilt nämlich als Begründer der italienischen Sprache (Luther war es für die deutsche Sprache), seine „Göttliche Komödie“ ist ein Universum an Gedanken (wie Goethes „Faust“) und die Terzinenform wird im Nibelungenlied zwar nicht angewandt, aber auch das deutsche Heldenlied hat eine strenge Strophenform.
Der Autodidakt Blasius Marsoner
Blasius Marsoner (1924 – 1991) muss ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten gewesen sein. Er bildete sich selbst weiter und es ist schon eine erstaunliche Leistung, dass er sich ein so umfassendes Wissen allein aneignen konnte.
Er besaß eine gut ausgestattete Bibliothek mit den wichtigsten Werken zur Geschichte und Kunstgeschichte Tirols, die wichtigsten Bände der klassischen Weltliteratur standen in seinen Regalen. Eine besondere Vorliebe hatte er für die klassische Musik. Neben einer Sammlung von Gedichten zu den verschiedensten Themen hat Blasius Marsoner auch tiefgehende philosophische Auseinandersetzungen und heimatkundliche Beiträge (u. a. die Geschichte des Ultentales) verfasst. Die große Leistung von Blasius Marsoner liege laut dem Kulturwissenschaftler und Buchautor Ferruccio Delle Cave aber in der Übersetzung der „Divina Commedia” von Dante Alighieri.
25. März: „Dantedì“
Warum gerade der 25. März zum Dante-Gedenktag wurde, hängt damit zusammen, dass die Literaturwissenschaft annimmt, dass Dante am 25. März 1300 seine Jenseitstour angetreten haben soll. In sieben Tagen soll er durch Hölle, Fegfeuer und Paradies gewandert sein. Zwei Städte streiten sich heute um ihn: Ravenna, wo er als Flüchtling seinen Lebensabend verbracht hat und begraben liegt und Florenz, wo er geboren ist und politisch eine maßgebliche Rolle gespielt hat.
Als „Propheten der Hoffnung“ würdigte der Papst den Dichter. „Dante lädt uns einmal mehr dazu ein, den verlorenen oder verdunkelten Sinn unseres irdischen Weges wiederzufinden“, sagte Franziskus.
Wer war Dante Alighieri?
„Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai per una selva oscura, ché la diritta via era smarrita.“
Wer kennt sie nicht, die Anfangsverse der „Divina Commedia“, das Epos von Dantes Reise durch die drei Reiche des Jenseits am Karfreitag des Jahres 1300? Der Dichter hat sich in einen tiefen Wald verirrt, weil er den rechten Weg verloren hat.
Kindheit und Jugend
Von Dantes Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Gesichert ist, dass der Sohn eines Stadtadeligen als „Durante“ – verkürzt wurde daraus Dante – in Florenz geboren wurde. Die „Alighieris“ gehörten zu einem der ältesten Florentiner Geschlechter. Das ungefähre Geburtsdatum Mai 1265 ergibt sich aus der Schilderung in „La Divina Commedia“, wonach der Ich-Erzähler (=Dante) im Sternzeichen der Zwillinge geboren wurde und zur Zeit der Abfassung des Werkes 35 Jahre alt war. Dantes Eltern verstarben früh, aber durch die Unterstützung des Priors der Republik Florenz erhielt der junge Dante eine sehr gute Ausbildung. Zu seinen Jugendfreunden zählte unter anderen auch der Maler Giotto. Mit neun Jahren sah Dante zum ersten Mal Beatrice, der Überlieferung nach die Tochter eines reichen Nachbarn. Sie starb schon im Alter von 24 Jahren, unsterblich machte sie Dante aber in seinem Werk.
Der Politiker
Um 1293 heiratete Dante Gemma Donati, die aus einer sehr angesehenen Florentiner Familie stammte. Aus der Ehe gingen mehrere Kinder hervor. Früh schon engagierte sich Dante politisch sehr aktiv in seiner Heimatstadt und bekleidete verschiedene öffentliche Ämter: Er war Mitglied des Rates der Hundert, 1300 sogar einer der sechs Priori von Florenz. Im Kampf um die Unabhängigkeit von Florenz gegen die Einmischungsversuche des Papstes verstrickte er sich aber zusehends in eine erfolglose Gegnerschaft. 1302 wurde Dante daher aus Florenz verbannt und kurz darauf sogar zum Tode verurteilt. Sein Vermögen wurde konfisziert, die Familie blieb in bitterer Armut zurück. Fortan führte Dante ein unstetes Wanderleben, zeitlebens nur mehr auf der Flucht, die ihn zunächst nach Verona an den Hof der Scaliger führte. Eine Zeitlang lebte er auch in Lucca, die letzten Lebensjahre in Ravenna, wo er 1321 verstarb und im Franziskanerkloster beigesetzt wurde. Über die Machtspiele seiner Zeit war Dante also bestens informiert und als Verlierer auch tief darin verstrickt.
„Die „Divina Commedia“
Die „Divina Commedia“ ist in toskanischer Volkssprache geschrieben. Dadurch machte Dante das Italienische zu einer angesehenen Schriftsprache. Das Epos besteht aus 14.233 Versen, die in Terzinen zusammengefasst sind. Die Zahl „Drei“ spielt eine wesentliche Rolle: Die „Commedia“ besteht aus 3 Teilen mit jeweils 33 Gesängen. Die „Drei“ symbolisiert die Dreieinigkeit, das ganze Werk spiegelt in seiner Komposition die perfekte Ordnung in Gottes Schöpfung wider. Dante begann mit der Ausführung der „Commedia“ wahrscheinlich um 1311 und arbeitete daran bis zu seinem Tode.
Dantes Visionen vom Jenseits
Erzählt wird die Geschichte der visionären Wanderung des Dichters durch die drei nach dem ptolemäischen Weltbild angeordneten Reiche des Jenseits. Geleitet wird Dante zuerst von Vergil, der Verkörperung von Vernunft, Wissenschaft und Philosophie, dann von Beatrice, die verklärte Jugendliebe, jetzt das Symbol der göttlichen Gnade. Vergil führt Dante durch die neun Höllenkreise auf den Berg der Läuterung, der an die Stelle des Fegefeuers tritt. Im Paradies übernimmt Beatrice die Führung durch die neun Himmel bis zur Anschauung Gottes. Auf seiner Wanderung spricht Dante mit den Seelen berühmter Verstorbener über Fragen der Theologie und Philosophie, über die Kirche, den Staat und Italien. So umfasst die „Divina Commedia“ enzyklopädisch alle geistigen Themen des Mittelalters.
„Zu den Wurzeln unserer Identität zurückkommen“
An der „Akademie Meran“ steht das heurige erste Halbjahr ganz im Zeichen von Dante Alighieri.
„Dante-Dialoge“ nennt sich eine Reihe von Vorträgen, Lesungen und Begegnungen anlässlich des 700. Todestages des großen italienischen Dichters, Philosophen und Politikers. In 12 „Dialogen“ wird der Wanderung Dantes durch Hölle, Fegefeuer und Paradies nachgegangen, vorerst noch in Onlinekonferenzen, die auf der Webseite der Akademie abrufbar sind (adsit.org/WP/it/manifestazioni). Dr. John Butcher ist der wissenschaftliche Leiter der Reihe.
Die BAZ sprach mit ihm über das heurige Gedenkjahr, die „Commedia“ und die Aktualität Dantes in unserer Zeit.
Herr Butcher, Sie haben die „Dante-Dialoge“ an der Akademie Meran ins Leben gerufen. Wo stehen Sie gerade auf Ihrer „Tour“ durch Dantes „Göttliche Komödie“?
John Butcher: Wir haben gerade eine beängstigende Reise durch die Hölle hinter uns. Unsere Vorleserin Marta Penchini zeigt sich tieftraurig. Schon damals, im 14. Jahrhundert, bevorzugten die Italiener stets den ersten Teil der „Göttlichen Komödie“. Noch heute ist die Lage unverändert. Persönlich sehe ich dies anders: Dantes Purgatorium stellt im wahrsten Sinne des Wortes eine Befreiung dar, während der paradiesische Charakter des letzten Hauptteils der „Komödie“ bereits in dessen Titel zum Vorschein kommt. Der nächste Dante-Dialog wird sich mit einem Deutschen beschäftigen, nämlich dem Sohn des Staufer-Kaisers Friedrich II., dem König von Sizilien Manfred (1232-1266), Protagonisten des dritten Gesangs des „Purgatorio“.
Viele von uns haben Dante Alighieri in der Oberschulzeit kennengelernt. Was macht diesen Mann bis heute noch so aktuell?
Da die Geschichte generell aus Höhen und Tiefen besteht, ist es kaum zu leugnen, dass wir seit einiger Zeit eine besonders schwierige Phase der menschlichen Existenz erleben. Eine unvermeidbare Folge davon ist das Bedürfnis, sich über den tieferen Sinn unseres Daseins Fragen zu stellen. Wie kaum ein anderer hat sich Dante Alighieri sein Leben lang derartige Fragen gestellt, was sich unverkennbar aus der Lektüre der „Komödie“ ergibt. Für den Florentiner besteht die Antwort grundsätzlich darin, sich zu dem christlichen Glauben zu bekennen, alle Hoffnungen auf die Barmherzigkeit Gottes gegenüber seinen Geschöpfen zu setzen. Diese Suche nach einer Bedeutung durchzieht Dantes gesamtes Werk und kann sich in Krisenzeiten positiv auf die Weltanschauung der Leserschaft auswirken, selbst wenn wir letztendlich des Autors Schlussfolgerungen nur teilweise oder überhaupt nicht teilen.
Der italienische Komiker Roberto Benigni meinte einmal, nur Dante könne dieses arme Italien retten. Nun, der Dichter ist seit 700 Jahren tot. Was kann er heute noch unternehmen?
Ich zweifle daran, ob das gegenwärtige Italien eigentlich zu retten ist! Stellen wir uns vor, dass Dante seine von sich selbst prophezeite Seligkeit im Paradies aufgeben und vorerst auf die Erde zurückkehren würde. Ich bin mir sicher, dass er als geborener Polemiker auf die neue Realität kritisch reagieren würde. Nur glaube ich nicht, dass er unbedingt ein langes Gedicht in Terzinen verfassen würde… Dante verspürte ein dringendes Bedürfnis nach Massenkommunikation: Nur auf diese Weise kann man seine Entscheidung nachvollziehen, die „Komödie“ in italienischer, statt lateinischer Sprache zu schreiben. Vielleicht wäre er zu einem genialen Texter geworden, wie zum Beispiel Mogòl, welcher die Texte für Lucio Battistis Lieder gestaltete. Über populäre Musik würde er heute in der Lage sein, ein möglichst breites Publikum zu erreichen und dadurch beeinflussen zu können.
Ich nehme an, Sie haben sicher eine Lieblingsgeschichte in der „Commedia“?
Nachdem ich Dantes „Purgatorio“ und „Paradies“ gelobt habe, möchte ich eine Lanze für den ersten Teil seines Hauptwerkes brechen. Poetisch und tief berührend sind insbesondere vier Begegnungen im „Inferno“: Mit Francesca da Rimini, die ihre unwiderstehliche Liebe zu Paolo mit einem grausamen Tod bezahlte; mit Brunetto Latini, Dantes altem Lehrer, der ihm beibrachte, „come l’uom s’etterna“; mit Odysseus, welcher eine fatale Entdeckungsreise über den Atlantischen Ozean antrat; mit dem Grafen Ugolino, der zusammen mit seinen unschuldigen Kindern in einem pisanischen Turm verhungern musste. Über alle vier Episoden haben wir bereits Dante-Dialoge aufgenommen.
Welche Rolle spielt Dante für die italienische Sprache?
In Dantes Zeitalter war Latein als Volksprache seit einigen Jahrhunderten bereits ausgestorben. Trotzdem begannen die Italiener erst ab dem Anfang des 13. Jahrhunderts ernsthaft in der Vulgärsprache zu schreiben. Die Ergebnisse vom Hof Kaiser Friedrichs II. in Palermo wirken ziemlich bescheiden: Erst Guittone d’Arezzo, Guido Guinizelli und Guido Cavalcanti gelang es, hochwertige Texte in der Volksprache zu schaffen. Nichtsdestoweniger ging es immer um kurze, meistens lyrisch geprägte Texte. Dante hingegen verfasste das erste umfangreiche Meisterwerk in der nationalen Sprache. Seine „Komödie“ übte eine Vorbildfunktion auf spätere Autoren wie Petrarca und Boccaccio aus und legte damit den Grundstein zur Entstehung einer einheitlichen italienischen Sprache. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass die Italiener des 21. Jahrhunderts sich weiterhin in einem von Dante kanonisierten Idiom unterhalten: In kaum einem anderen europäischen Staat hat sich die Sprache im Laufe der Jahrhunderte so wenig geändert. Versuchen Sie mal ein Gedicht in Altfranzösisch oder Altenglisch zu lesen!
Politisch war Dante kein unbeschriebenes Blatt. Können Sie uns dazu etwas sagen?
Ursprünglich gehörte Dante zur guelfischen Partei und zwar zu den Verteidigern der päpstlichen Vorherrschaft in Italien. Doch bald wurde er zu einem beinahe fanatischen Anhänger der kaiserlichen Partei und damit irgendwie zu einem Ghibellinen. Nach seiner Sichtweise sollte sich der Papst ausschließlich um das geistige Leben kümmern, ohne sich in weltliche Angelegenheiten einzumischen. Bei den letzteren hätte das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches das letzte Wort. Dantes Bewunderung für Heinrich VII. von Luxemburg, der 1310 nach Italien zog, in der Hoffnung dort den Frieden wiederherzustellen, reichte sogar zu christlichen Parallelen: „Ecce Agnus Dei, ecce qui tollit peccata mundi“ (vgl. Joh. I, 29), frohlockt er über den deutschen König in der VII. Epistel.
Ich habe gelesen, dass Dante auch einen Bezug zu Tirol hatte und es auch in seiner „Göttlichen Komödie“ nennt. Stimmt das?
Im „Inferno“ entdeckt man tatsächlich die Terzine: „Suso in Italia bella giace un laco, / a piè de l’alpe che serra Lamagna / sovra Tiralli, c’ha nome Benaco“ (XX, 61-63). Bei „Lamagna“ meint der Poet Deutschland – mit dem altmodischen Wort „Allemagna“ ist es noch heute in Italienisch möglich, auf das deutschsprachige Gebiet hinzuweisen. „Tiralli“ nimmt Bezug auf Schloss Tirol oder, weniger wahrscheinlich, auf die ganze zwischen Bozen und Innsbruck liegende Grafschaft (laut Experten soll „Tiralli“ ladinisch für „Tirol“ sein). „Benaco“ entspricht der alten lateinischen Bezeichnung für den Gardasee. Die Interpretation der oben zitierten Terzine ist über die Jahrhunderte wiederholt in hitzige nationalistische Streite ausgeartet. Anscheinend meinte Dante damit, die Texelgruppe und die weiteren nahen Berge bildeten eine natürliche Grenze, ein Bollwerk sozusagen, zwischen dem italienisch- und dem deutschsprachigen Raum. Dante war leider nie im Burggrafenamt. Er verbrachte stattdessen viel Zeit in Verona und ich gehe davon aus, dass er dort detaillierte Auskünfte über unser Land und über Schloss Tirol einholte.
Bis heute inspiriert die „Göttliche Komödie“ Menschen, Künstler, Poeten…? Wen würden Sie da so in erster Reihe nennen?
Hier betreten wir das schier endlose Gebiet der Dante-Rezeption. Zu diesem Thema würde ich die Lektüre des aufschlussreichen Kapitels in einem neuen Buch von Alberto Casadei, „Dante. Storia avventurosa della Divina commedia dalla selva oscura alla realtà aumentata” (il Saggiatore, 2020), empfehlen. In diesem Zusammenhang möchte ich mindestens ein paar Namen hervorheben: den schon erwähnten Boccaccio, die Künstler und Stecher Botticelli, William Blake, Dante Gabriel Rossetti und Gustave-Paul Doré, den Dichter T. S. Eliot, Erich Auerbach (sein „Dante als Dichter der irdischen Welt“, noch in Buchhandlungen erhältlich, zählt zu den literaturwissenschaftlichen Standardwerken), Carmelo Bene (dessen Lesungen aus der „Komödie“, wenn auch übermäßig frei, wirken fast hypnotisch auf den Zuhörer dank einer außerordentlichen Modulation der Stimme) und den 1990 von der BBC gesendeten „A TV Dante“ von Peter Greenaway und Tom Phillips, der mir damals als so etwas wie eine Einführung in die grausige Welt des „Inferno“ diente und der nach Blake, Rossetti und Eliot die zeitgenössische Dante-Rezeption in meiner Heimat England wesentlich geprägt hat.
Stimmt es, dass kein Manuskript von Dante selbst erhalten ist, nicht einmal ein von ihm geschriebener Brief?
Das stimmt leider und überrascht, wenn man denkt, zu welchem Ruhm Dante es bereits bis zu seinem Tod im Jahre 1321 gebracht hatte und wie viele Autografe von italienischen Dichtern aus dem 13. und 14. Jahrhundert erhalten geblieben sind. Im Dom von Spoleto habe ich selbst einen lateinischen Brief des Vaters von Franz von Assisi gesehen; vom Notar Iacopo da Lentini (um 1210 – 1260) aus der sizilianischen Dichterschule besitzen wir einige Urkunden; geschweige denn Petrarca, welcher als Kind den Autor der „Komödie“ – vielleicht im Winter 1311 – 1312 in Genua – kennen lernte, dessen selbst geschriebene Handschriften des „Canzoniere“, die heutigen Vat. lat. 3195 und 3196, glücklicherweise der Nachwelt erhalten blieben. Noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts konnte einer von Dantes wichtigsten Biografen, Leonardo Bruni, von autografischen Briefen Gebrauch machen. Inzwischen haben sich alle materiellen Spuren in Luft aufgelöst, vermutlich den jeweiligen Archiven von Bewunderern des Dichters längst entwendet.
Zum Schluss, was bedeutet Dante für Sie persönlich?
Seit dem neuen Jahrtausend neigt die Italianistik dazu, ihre Aufmerksamkeit auf zweitrangige Schriftsteller zu richten. Diese Tendenz ist bis zu einem gewissen Punkt zu begrüßen: Die italienische Literatur besteht aus vielen äußerst interessanten Werken, von denen die meisten bis vor kurzem fast in Vergessenheit geraten waren.
Gleichzeitig muss auch festgehalten werden, dass hinsichtlich der Entwicklung der italienischen Kulturgeschichte ein in einer Auflage von 1000 Exemplaren einmal erschienener und völlig vergessener Band von barocken Gedichten kaum mit Ariostos „Rasendem Roland“ oder Tassos „Befreitem Jerusalem“ zu vergleichen wäre. Ich habe den Eindruck, dass heutzutage einige Italianisten weder Maß noch Ziel kennen. Wenn wir die Werke von Dante, Petrarca, Boccaccio, Ariosto und Tasso lesen, handelt es sich um Texte, die zur Entwicklung der italienischen Identität und des europäischen Kulturraumes wesentlich beigetragen haben.
Meiner Meinung nach ist es höchste Zeit, wieder auf die Klassiker zurückzukommen. Und Italien kennt sicherlich keinen besseren Klassiker als die „Göttliche Komödie“.