von Philipp Genetti
Nach 100 Tagen im Amt zieht der US-Präsident seine Zwischenbilanz. Sie sind inzwischen bereits seit mehr als neun Monaten Schennas erste Bürgerin. Wenn Sie Bilanz ziehen müssten, wie würde diese aussehen?
Annelies Pichler: Die hundert Tage wären bei mir bereits Ende Dezember 2020 abgelaufen und ich habe mich damals auch schon daran erinnert. Es ist sehr schwierig, eine Bilanz zu ziehen, da sehr dichte und intensive Monate hinter uns liegen. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Allgemein war die Covid-Zeit eine außergewöhnliche Zeit, in der wir als neue Verwaltung beginnen durften. In einer Zeit, in der persönliche Kontakte fast ausgeschlossen sind, steht man als jemand, der neu im Amt ist, und sich erst einmal ein Netzwerk aufbauen muss, vor einer großen Herausforderung. Hinzu kommt, dass wir im Herbst 2020 einen neuen Ausschuss bekommen haben und wir uns schnell gut aufstellen mussten, was uns aber gut gelungen ist. Im Gemeinderat sind viele neue Gesichter mit vielen engagierten Persönlichkeiten, mit denen ich sehr gut zusammenarbeite. Dennoch war es für uns tatsächlich so, als wären wir in einen Schnellzug eingestiegen. Es gab keine Anlaufzeit, stattdessen hieß es gleich einsteigen und loslegen. Denn kaum war die neue Verwaltung eingesetzt, haben sich die Dinge in der Gemeinde regelrecht überschlagen.
Was waren die größten Herausforderungen für den neuen Ausschuss?
Die großen Unwetter im Herbst und die sehr großen Schneemengen im Winter, die schnelle Organisation der Massentests – zudem waren wir plötzlich Sperrgemeinde – waren eine große Herausforderung. Außerdem gab es zahlreiche Projekte, die bereits angelaufen waren, wie die Sanierung der Feuerwehrhalle, der Bau der Carabinieri-Kaserne, die große Unsicherheit mit dem neuen Gesetz „Raum und Landschaft“ kam noch dazu. Die Zusammenarbeit mit der ehemaligen Gemeindeverwaltung war glücklicherweise reibungslos und die Übergabe ist sehr gut gelaufen. Dennoch ist man als neues Ausschussmitglied bzw. als neue Bürgermeisterin zunächst einmal ins kalte Wasser geworfen. Die größte Herausforderung in den ersten Monaten lag in der Schnelligkeit, reagieren zu müssen. Wir arbeiten als Team sehr gut zusammen, man kann sich aufeinander verlassen und es besteht ein sehr gutes Vertrauensverhältnis.
Wie haben Sie diesen Sprung von der Gemeinderätin zur Bürgermeisterin erlebt?
Bürgermeisterin zu sein, ist eine ganz neue Rolle, in der man sieben mal 24 Stunden in der Woche steckt. Es ist eine große Ehre und Verantwortung, dieses Amt für das eigene Dorf bekleiden zu dürfen. Überrascht hat mich das große Tagesgeschäft, das es zu bewältigen gilt und die vielen Bereiche, die ein Außenstehender nicht sieht. Als Bürgermeisterin steht man unterschiedlichsten Erwartungen gegenüber. Das Amt ist in seinen Aufgaben sehr abwechslungsreich und vor allem die Arbeit in ständigem Kontakt mit Menschen macht große Freude.
Zu Beginn der Corona-Pandemie ist man davon ausgegangen, dass es wirtschaftlich schwierig werden wird. Mussten in Schenna Betriebe schließen?
Das ist im Moment noch sehr schwer einzuschätzen. Im Tourismus öffnen jetzt wieder alle Betriebe. Wir haben zum Glück gesunde Betriebe im Dorf, die eine solche Krise hoffentlich relativ gut meistern können. Ich denke, dass wir angesichts der Öffnungen wieder zuversichtlich in die Zukunft schauen können.
Gemeinden können das ausgeben, was sie als gesicherte Einnahmen garantieren können. Muss Schenna in Zukunft sparen?
Wir sind auf alle Fälle in der Planung jetzt um einiges vorsichtiger. Wir haben gesehen, wie schnell sich alles wieder verändern kann. Gerade was den Verwaltungsüberschuss anbelangt, sind wir erst einmal sehr vorsichtig und stützen uns eher auf Rücklagen, um dann in einem zweiten Moment zu entscheiden, wo es sinnvoll ist, die Gelder einzusetzen. Beim Projekt zur Sanierung der Feuerwehrhalle und dem Umbau der Carabinieri-Kaserne ist die Finanzierung bereits gesichert.
Gab es auch Projekte, die aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden mussten?
Wesentliche Verschiebungen haben wir gar nicht machen müssen. Wir haben höchstens Planungen, die angestanden sind, hinausgeschoben, aber auch als neuer Ausschuss die Gelegenheit genutzt, um uns Projekte noch einmal genauer anzusehen und auch nachzubessern. Wir planen zurzeit die energetische Sanierung und Innenanpassung der Grundschule Schenna an die heutigen pädagogischen Erfordernisse. Ein Gebäude, das inzwischen über 40 Jahre alt ist. Es gibt dazu auch eine erste Planung von der alten Verwaltung. Wir haben uns diese noch einmal genauer angeschaut, neu angepasst und möchten die finale Planung nun auf den Weg bringen. Im Grunde hängt dieses Projekt mit dem anstehenden Vorhaben zusammen, das gesamte Schulzentrum zu modernisieren und neu zu gestalten. Das werden wir in mehreren Schritten und in einem längeren Zeitraum angehen. Nach der Sanierung der Grundschule wird dann die Realisierung einer größeren Turnhalle anstehen und mit dem Neubau der Turnhalle würde in der alten Turnhalle dann auch Platz für eine Mensa entstehen.
Für viele ein großes Thema ist das bereits in Kraft getretene neue Raumordnungsgesetz. Was ist Ihre Erfahrung damit?
Das neue Gesetz für Raum und Landschaft ist in Kraft und muss umgesetzt werden. Viele Unklarheiten und offenen Fragen führen dazu, dass in der Gemeindestube und bei den Bauvorhaben große Unsicherheit herrscht. Deshalb sind im Tourismus keine neuen Baugesuche mehr eingegangenen. Hier braucht es noch mehr Klarheit. Ich sehe im Gesetz aber auch eine große Chance für Schenna, da wir uns genauer überlegen müssen, wie wir uns als Gemeinde weiterentwickeln wollen. Die Gestaltung von Raum und Landschaft gehen die gesamte Bevölkerung an und deshalb müssen wir auch behutsam vorgehen.
In diesem Zusammenhang ist aber auch schon einiges geplant.
Zusammen mit dem neugewählten Gemeinderat und den vielen neuen Ideen, die die Mitglieder mitgebracht haben, möchten wir ein Dorfentwicklungskonzept auf die Beine stellen und damit gemeinsam in die Zukunft blicken. Das wird ein einjähriger Prozess, mit dem wir jetzt im Sommer im Gemeinderat beginnen und im Herbst dann auch die Bürger gezielt miteinbeziehen werden. Ziel ist es, einige Leitlinien zu definieren, an denen wir als Gemeindeverwaltung zukünftige Entscheidungen ausrichten können.
Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf und was wünschen Sie sich für Ihr Dorf?
In einer Tourismusgemeinde, wie der unseren, ist es mir besonders wichtig, dass jeder seinen Platz findet. Auf Familien, Jugend und Senioren ist genauso zu schauen wie auf das Wirtschaftsleben – alles geht Hand in Hand. Vieles hängt von einer guten Kommunikation ab und hierbei sehe ich mich durchwegs als diejenige, die in den unterschiedlichsten Bereichen Menschen zusammenführen und ausgleichend wirken kann. Was ich in unserem Dorf für unglaublich wichtig erachte, und für das ich mich sicher verstärkt einsetzen möchte, ist das Vereinswesen. Wir haben sehr viele Vereine im Dorf, die auch sehr gut aufgestellt sind. Vor allem nach dieser Covid-Zeit haben wir als Gemeinde die Aufgabe, hier unterstützend tätig zu sein. Außerdem wünsche ich mir, dass wir Schenner nun gemeinsam nicht nur auf das Heute, sondern auch auf das Morgen schauen und immer mehr den Blick hin zu einer nachhaltigen Dorfentwicklung richten.
Wohin soll sich der Tourismus entwickeln?
Der Tourismus als wichtigster Wirtschaftszweig unseres Dorfes hat eine Obergrenze in der Quantität erreicht. Auf Qualität zu setzen, heißt für mich den Blick verstärkt auf die Nachhaltigkeit zu lenken. Dazu zählt ein Bewusstsein für unsere Böden, für unsere Natur und die Umgebung, gute Arbeitsplätze, das Besinnen auf unsere gemeinsamen Werte, das Augenmerk auf die Kultur, die nachhaltige Mobilität und vor allem das funktionierende Miteinander im Dorf. Einheimische und Gäste profitieren so gleichermaßen vom Qualitätstourismus. Schließlich sollen auch unsere Enkel noch die Möglichkeit haben, etwas zu gestalten.