Wenn die Sonne im Herbst langsam an Kraft verliert und die Tage kürzer werden, zeigt sich die Europäische Union mal wieder ganz vereint und dreht zeitgleich an den Zeigern: Die alljährliche Umstellung auf die Mitteleuropäische Winterzeit steht alljährlich am letzten Sonntag im Oktober an.
von Josef Prantl
Pünktlich um 3 Uhr werden am 31. Oktober die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Damit gilt wieder die Winterzeit. Wer am Abend zur selben Zeit wie immer ins Bett geht, hat eine Stunde Schlaf mehr, aber dafür wird es auch eine Stunde früher dunkel. Wer morgens zur Schule oder zur Arbeit muss, hat etwas früher Tageslicht. Und damit ist eigentlich auch schon erklärt, warum die Zeitumstellung eingeführt worden ist: Man glaubt, vor allem im Sommer Energie zu sparen, indem man weniger künstliche Lichtquellen braucht. Mittlerweile spricht aber einiges dafür, dass diese Einsparung in der Summe nicht eintritt. Und was nun die „richtige“ Zeit ist, darüber streiten sich die Geister. Wie gesagt: Eingeführt wurde die Sommerzeit; also ist „richtige“ Zeit die Winterzeit, wechselt man doch Ende Oktober auf die mitteleuropäische Normalzeit (MEZ).
Leben in Zeitzonen
Das mit der Zeitrechnung ist schon ein Kapitel für sich. Dass auf anderen Erdteilen andere Zeiten gelten, ist bekannt, die Erklärung dafür kennen aber nur wenige. Unser Planet ist in 24 Zeitzonen aufgeteilt. In Westeuropa gilt großteils die Mitteleuropäische Zeitzone. Wer aber schon in den Urlaub nach Portugal fliegt, muss seine Uhr dort um eine Stunde zurückstellen, in der Türkei dagegen eine Stunde vor. Dass die Uhren den Lebensrhythmus bestimmen und Tag und Nacht, Arbeitszeit und Freizeit definieren, ist historisch ziemlich neu. Bis weit ins 19. Jahrhundert richteten sich Bauern, Arbeiter und Handwerker bei ihrer Zeiteinteilung nach Sonnenstand, Klima, Wachstumsperioden der Natur oder nach der anfallenden Arbeit: Sie verrichteten ihr „Tagwerk“ oder bestellten ihren „Morgen“ Land. Bis ins 19. Jahrhundert haben die Menschen also die Zeit nach dem Stand der Sonne bestimmt. An jedem Ort galt daher auch eine etwas andere Zeit. Erst mit der Erfindung von Eisenbahn und Telefon wurde es wichtig, die genaue Zeit an anderen Orten zu wissen. Man wollte sich nicht immer alle Ortszeiten merken müssen. Darum hat man sich um das Jahr 1900 geeinigt, die Welt in Zeitzonen einzuteilen. Diese Zeitzonen richten sich nach den Längengraden. Eine Zeitzone ist normalerweise 15 Grad „breit“. Anders gesagt: Alle 15 Grad fängt eine neue Zeitzone an und damit gilt dort auch eine andere Uhrzeit. Allerdings haben die meisten europäischen Staaten für sich eine Zeit festgelegt, die von den Längengraden abweicht. Man wollte ja nicht, dass in Berlin z. B. eine andere Zeit als in Aachen herrscht. Sonst wäre es in Aachen eine Stunde früher. So hat man sich auf die Mitteleuropäische Zeit geeinigt. Schließlich will man ja nicht, dass man die Uhr umstellen muss, wenn man von Frankreich nach Italien oder von Deutschland nach Polen reist. Eigentlich aber müssten viele Länder eine andere Zeit haben. Selbst Portugal hat mal die Mitteleuropäische Zeit ausprobiert: Es wollte dieselbe Zeit wie das Nachbarland Spanien haben. Aber da mussten die Portugiesen zur Arbeit oder zur Schule, als es noch dunkel war. Darum hat Portugal wieder zur Westeuropäischen Zeit gewechselt, die man auch in Großbritannien und Irland kennt. Bei sehr großen Ländern lässt es sich allerdings nicht vermeiden, dass es mehrere Zeitzonen gibt. Sonst würden die geltende Zeit und der Stand der Sonne zu weit voneinander abweichen. In den USA gibt es sieben verschiedene Zeitzonen, in Russland sogar zehn.
Die Weltzeit
Zeitzonen werden immer in einem Unterschied zur UTC, also der „Universal Time Coordinated“ (=Weltzeit) gemessen. In Italien gibt es nur eine einzige Zeitzone mit UTC+1. Damit man die Zeitzonen miteinander vergleichen kann, hat man sich auf einen Maßstab geeinigt, die sogenannten Weltzeit. Man geht danach, wie spät es auf dem Längengrad von Greenwich ist. Das liegt heute in London in Großbritannien. Man kürzt die Weltzeit oft mit UTC ab. Wer also in Meran wohnt und mit jemandem in New York telefonieren will, der sollte wissen, wie spät es dort ist. Meran liegt wie gesagt in der Mitteleuropäischen Zeitzone. Dort gilt: UTC+1. Wenn die Weltzeit im Winter also gerade 15 Uhr am Nachmittag beträgt, dann ist es in Meran 16 Uhr. Die Zeitzone New York hingegen ist UTC-5. Zu den 15 Uhr Weltzeit muss man also fünf Stunden wegzählen: In New York ist es zur gleichen Zeit 10 Uhr am Vormittag. Man muss außerdem noch an die Sommerzeit denken. In Mitteleuropa gilt im Sommer daher: UTC+2, dann wäre es in New York erst 9 Uhr. Das ist alles gar nicht so einfach. Es gibt auch Uhren, vor allem für Piloten, die eine zweite Zeitzone anzeigen.
Europas gemeinsame Zeitzone
Abgesehen von abgelegenen Gebieten wie den portugiesischen Azoren im Atlantik oder den französischen Überseegebieten gibt es in der EU aktuell drei Zeitzonen. Eine große gemeinsame Zeitzone von Spanien bis Polen sei derzeit nur möglich, weil negative Effekte durch den Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit abgefedert würden, behaupten die Befürworter der Zeitumstellung. Dabei hatten sich bei einer EU-weiten Online-Umfrage vor drei Jahren 84 Prozent der Teilnehmer für deren Abschaffung ausgesprochen. Das Europaparlament hatte daraufhin im März 2019 mit großer Mehrheit für die Abschaffung für 2021 gestimmt – oder ein Jahr später, wenn es Schwierigkeiten für den Binnenmarkt geben sollte. Die EU-Kommission schlug darauf wiederum vor, ab 2019 den Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit abzuschaffen. Dem zustimmen müssen allerdings die Mitgliedsstaaten und das ist nicht in Sicht. Experten befürchten, dass es mit Ende der Zeitumstellung zwangsläufig wieder mehr Zeitzonen in Europa geben würde. Außerhalb von Europa haben viele Länder immer wieder mit der Sommerzeit experimentiert. Es gibt sie noch in den USA und Kanada sowie im Iran. Russland, China, Indien sowie weite Teile von Australien und Südamerika haben sie aber wieder abgeschafft.
Die gemeinsame europäische Zeitzone hat zwar den großen Vorteil einer einheitlichen Uhrzeit, aber sie macht auch zu schaffen: Würde immer Normalzeit (also unsere Winterzeit) herrschen, so wäre in Polen im Juli bereits gegen 3 Uhr nachts der Tag, während in Spanien noch dunkle Nacht herrscht. Kein Wunder, dass Polen die dauerhafte Sommerzeit anstrebt. Wer möchte schon um 3 Uhr morgens von Sonnenstrahlen geweckt werden? Alle in der EU wissen auch, sollten nicht alle Länder an einem Strang ziehen, würde es im Binnenmarkt ein heilloses Durcheinander geben. Liefertermine und Öffnungszeiten würden voneinander abweichen und man bräuchte für jedes Land eine Zeitzonentabelle.
Vor- und Nachteile der Zeitumstellung
Italien hat sich kürzlich auch gegen die Abschaffung der Zeitumstellung (die Sommerzeit wurde 1967 eingeführt) in Brüssel ausgesprochen und fordert, alles beim Alten zu lassen mit der zweimal jährlichen Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit und umgekehrt. Europa ist in dieser Frage eben sehr gespalten und uneinig. Die Abschaffung der Zeitumstellung wird grundsätzlich vor allem in nordeuropäischen Ländern gewünscht, in südeuropäischen weniger. Bei einer Wahlmöglichkeit eines jeden Staates würde der dadurch entstehende europäische „Flickenteppich“ Chaos und mehr Schaden verursachen als alles andere, befürchten viele Experten.
Der ursprüngliche Ansatz für die Sommerzeit war ja, Energie zu sparen. Inzwischen liegen viele Studien vor, die dem aber widersprechen. Es gibt demnach keine nennenswerten Effekte der Energieeinsparung. Im Gegenteil: Die meisten Privathaushalte sparen möglicherweise Energiekosten bei der Beleuchtung. Da aber die Heizung in der Übergangszeit eher morgens als abends läuft, kommt es durch das im Vergleich frühere Aufstehen sogar tendenziell zu entsprechenden Mehrausgaben. Weitere Probleme ergeben sich u. a. im IT-Bereich (Serverzeiten), in der Landwirtschaft (Melkzeiten) und im Verkehr (Abfahrt- und Ankunftszeiten). Da zugleich viele Menschen vorübergehend Probleme durch die Zeitumstellung haben, sollen die Effekte insgesamt sogar negativ sein.
Geschichtlicher Hintergrund
Es soll Benjamin Franklin, Erfinder, Politiker und Mitbegründer der USA, gewesen sein, der 1784 bereits über eine Zeitumstellung nachdachte. In einem Brief an den Herausgeber einer in Paris ansässigen Zeitung kritisierte er den hohen Verbrauch an Kerzen und die damit verbunden höheren Kosten während der kalten Jahreszeit. Da dieses Schreiben jedoch einen humorvollen Unterton hatte, ist die Ernsthaftigkeit der Gedanken über die Einführung einer Sommerzeit wohl eher fraglich.
In England wurde die Idee einer Sommerzeit im Jahr 1907 von dem Geschäftsmann William Willett erstmals seriös gefordert. Willett war der Überzeugung, dass eine Umstellung von 80 Minuten 2,5 Millionen Pfund Kosten für die Beleuchtung erspare. Obwohl Willett versuchte seine Idee umzusetzen, war er mit der Einführung einer Sommerzeit nicht erfolgreich. Die Sommerzeitumstellung erfolgte erstmals im April 1916 in Irland, Deutschland und Österreich-Ungarn, also während des Ersten Weltkrieges. Das ist kein Zufall: Der Erste Weltkrieg machte Energie zum überlebenswichtigen Gut und verwandelte Sparsamkeit vom noblen Gedanken zu einer kriegsentscheidenden Notwendigkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg hat man die Sommerzeit allerdings nach Beschwerden etwa von Landwirten, die sich in ihrem Tagesablauf gestört fühlten, wieder abgeschafft. Während des Zweiten Weltkriegs kam in Deutschland die Idee dennoch wieder auf, 1949 dann erneut das Aus.
Mit der Ölkrise in den 1970er Jahren schließlich überlegten die meisten europäischen Staaten vor dem Hintergrund knapper Energiereserven die Sommerzeit einzuführen: in Italien 1976, in Deutschland 1980. Durch eine bessere Verwertung des Tageslichtes sollte Energie eingespart werden. Gegen Ende des Jahres 1994 wurden dann die in den teilnehmenden Ländern der Europäischen Union bestehenden unterschiedlichen Regelungen zur Sommerzeit vereinheitlicht. Seit diesem Zeitpunkt gilt die einheitliche Sommerzeit in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
Eine Merkregel
Obwohl wir nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten zweimal im Jahr die Uhr umstellen, gibt es jedes Mal kleine oder große Unsicherheiten bei den Menschen. Die Frage lautet: Wann wird die Uhr eine Stunde vor, wann eine Stunde zurückgestellt? Um sich die Richtung der Zeitumstellung zu merken, kann folgender Merksatz hilfreich sein: „Im Frühjahr werden die Gartenmöbel vorgeholt, im Winter zurückgestellt.“