Die Lehrlingszahlen stagnieren, Fachkräfte sind händeringend gesucht: Obwohl ein Lehrabschluss bzw. der Abschluss einer Fachschule als Beschäftigungsgarantie gilt und die duale Ausbildung von Fachleuten gelobt wird, ist ihr Image nicht das Beste.
von Josef Prantl
Gute Mitarbeiter finden und binden: Für viele Südtiroler Betriebe ist dies derzeit eine große Herausforderung. Rund 70 Prozent der Südtiroler Unternehmen, die Mitarbeiter beschäftigen, suchen neues Personal. Die Sektoren mit dem größten Personalbedarf sind das Gastgewerbe, der Handel und der Bausektor. Rund 43 Prozent der gesuchten Profile betreffen Berufsbilder mit einer beruflichen Qualifizierung oder einem Berufsabschluss. Es gelte daher, das duale Bildungssystem weiter aufzuwerten und die berufliche Orientierung der Jugendlichen zu optimieren, betont Handelskammer-Präsident Michl Ebner.
„Wir finden niemanden“, klagen Johann Mair und Erich Staffler. In Sinich betreiben sie ein Glasstudio. Mittlerweile geht es vielen kleineren und mittleren Betrieben so, im Handwerk, Handel, auch im Dienstleistungssektor (man denke nur an den Pflegebereich!) und vor allem in der Gastronomie. In allen Bereichen der Wirtschaft fehlen die Fachkräfte. Gastgewerbe, Landwirtschaft und Baugewerbe sind schon lange auf ausländische Mitarbeiter angewiesen. Zudem wird die Suche nach Personal durch die geburtenschwachen Jahrgänge erschwert. Dieses Problem betrifft mehrere Branchen und ganz Europa. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt.
Ursachensuche
Die fehlende Wertschätzung für die berufspraktische Ausbildung und der Trend zu Studium werden in Studien auch als Ursache angeführt. Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Ausbildungsplätze sind die andere Seite. Bei der Entscheidung für den Bildungsweg stehen einkommens- oder statusorientierte Aspekte im Vordergrund. Einfach gesagt: Wer es schafft, eine Oberschule zu beenden, ist besser dran! So das Klischee. Mit schmissigen Sprüchen, Plakaten und Imagekampagnen kämpft der Landesverband der Handwerker (LVH) zwar seit Jahren für die Trendwende. Der Junghandwerker-Bus wirbt um Mittelschulabgänger, der HGV stellt in Berufskampagnen die verschiedenen Berufsbilder in der Gastronomie und Hotellerie vor. Gemeinsames Ziel: Das Image der Ausbildungs- und Handwerksberufe aufzuwerten.
Aber warum ist es zu dieser Schieflage überhaupt erst gekommen? Bei den Orientierungsangeboten für die Mittelschulabgänger haben die Oberschulen die Nase vorn. Handwerkliche Betriebe sind an den Schulen zu wenig präsent, um den eigenen Ausbildungsberuf bei Schülern zu bewerben, lautet das Fazit eines WIFO-Berichts von 2019.
Als möglichen Grund nennen die Experten auch die steigenden Anforderungen an die Auszubildenden. Von den Lehrlingen werden immer mehr Qualifikationen verlangt. Immer mehr Lehrlingsanwärtern (oft mit Migrationshintergrund) fehlen die Voraussetzungen. Mit der Einführung der Fachschulen ist eine Konkurrenz zur dualen Ausbildung gekommen, oft für dieselben Berufsbilder. Aber auch die Betriebe selbst haben ihren Teil beigetragen. Mit den strengen staatlichen Bestimmungen in puncto Jugendschutz und Arbeitssicherheit bei minderjährigen Lehrlingen haben viele keine Lust, selbst Lehrlinge auszubilden.
Immer mehr Schulabbrecher
Rund 20 Prozent der Südtiroler Jugend entscheiden sich für eine berufsbildende Ausbildung. Mädchen fast nur im ihnen entsprechenden Rollenbild. Während unser Bildungssystem immer mehr Maturanten und Studierende hervorbringt, kommt ein zunehmender Teil von Schülern nicht mehr mit. Es sind Jugendliche, die aus unteren sozialen Schichten, aus bildungsfernen Familien, meist mit Migrationshintergrund, kommen. Sie haben äußerst schlechte Voraussetzungen für den Übergang in eine berufliche Ausbildung und eine Erwerbstätigkeit. Diese Jugendlichen sind oft nur schwer zum Lernen zu bewegen.
Lehrlingsausbildung attraktiver machen
Seit über 60 Jahren gibt es die duale Berufsausbildung in Südtirol nach deutschem Vorbild. Die Kombination aus Theorie und Praxis ermöglicht Jugendlichen einen direkten Einstieg in die Arbeitswelt – und liefert Betrieben die Fachkräfte. Die Ausbildung findet zu 80 Prozent im Betrieb und zu 20 Prozent in einer Berufsschule statt und dauert drei bis vier Jahre. Ganz anders als in Italien, wo die praxisorientierte Ausbildung wenig Tradition hat. „In vielen italienischen Regionen wird die Lehre für Minderjährige noch immer primär als Lösung für Schulabbrecher und nicht als hochwertige Berufsausbildung angesehen“, sagt Cäcilia Baumgartner, Direktorin des Amtes für Lehrlingswesen in Bozen. Genau von dieser Imageschwäche der Lehre will man sich in Südtirol distanzieren, indem man die Stärke der dualen Lehre hervorhebt.
Weit mehr als 100 Ausbildungsberufe führt die Lehrberufsliste des Landes: vom klassischen Tischler, KFZ-Mechatroniker bis hin zum weniger bekannten Fassmaler oder Kürschner. Neue Berufsbilder werden eingeführt, erst kürzlich das des Baumaschinentechnikers oder des Experten für Baubiologie. Drei oder vier Jahre dauert die Lehrlingsausbildung, die mit dem Berufsbefähigungszeugnis abschließt, an der Fachschule mit dem Berufsdiplom. Dazu kommen noch die berufsspezialisierende Lehre, meist nach der Matura, und berufsbegleitende Lehrgänge, zum Beispiel zum Pizzabäcker.
Maßnahmen
Natürlich verdienen Auszubildende in einigen Berufen wenig, aber das ist normalerweise kein Grund für den Lehrlingsmangel. Da spielen falsche Vorstellungen von einem Beruf schon mehr mit, zeigen Studien auf. Jugendliche sehen sich beispielsweise als Fernsehkoch berühmt werden, müssen aber erst einmal nur Pfannen putzen und Kartoffeln schälen. Oder sie wollen sich als Stylist kreativ verwirklichen, ein großer Teil der Friseurausbildung besteht aber darin, Haare aufzufegen. Verändert hat sich auch die Einstellung der jungen Menschen. Viele sind daran gewöhnt, dass alles immer verfügbar ist. Ihnen fehlt der Ansporn, Eigeninitiative zu ergreifen und sich durchzusetzen. Sie sind schlicht verwöhnter als früher.
Aufstiegsmöglichkeiten sichtbar machen
Vielleicht hat auch das betriebliche Lernen mit den Veränderungen nicht Schritt halten können. Das Südtiroler Lehrlingswesen steht vor einer Reihe von Herausforderungen. Der Ausbau der Anschlussfähigkeit der Abschlüsse und die Durchlässigkeit des Lehrabschlusses, sind auf dem Papier zwar gegeben, aber es gelingt nur den Wenigsten, nach der Lehre eine weitere höhere Qualifikation zu erreichen. Auch die Einstellung eines Lehrlings ist für jeden Betrieb mit finanziellem, administrativem und ausbildungsspezifischem Aufwand verbunden.
Valide und öffentlich zugängliche wissenschaftliche Analysen bzw. Erhebungsinstrumente über die Qualität der Lehrausbildung gibt es auch nicht. Zu einer attraktiven dualen Ausbildung gehört aber auch, erfolgreichen Absolventen Karrieremöglichkeiten zu eröffnen, die bisher Akademikern vorbehalten sind. Warum soll ein Handwerksmeister, der sich bestens auf Baustellen auskennt, nicht für eine gehobene Laufbahn in einer Baubehörde infrage kommen? Hier muss die Durchlässigkeit erhöht werden. Das gilt nicht nur für die berufliche Laufbahn, sondern schon für einen möglichen Wechsel zwischen Studium und dualer Ausbildung und umgekehrt.
Gute Mitarbeiter finden und binden
Handelskammerpräsident Michl Ebner betont die Bedeutung der Ausbildung: „Investitionen für qualifizierte und motivierte Mitarbeiter sind nicht nur für die Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit Südtirols als Wirtschaftsstandort wichtig, sondern bieten auch den Jugendlichen angemessene Berufschancen.“ Die bisherigen Bemühungen reichten offenbar nicht, sondern es brauche eine grundlegende Reform, fordert Hermann Atz vom Sozialforschungsinstitut „appolis“. Diese könnte darin liegen, die Zweiteilung der Berufsbildung in Vollzeitkurse und duale Lehre wenigstens dort zu überdenken, wo fast dieselben Berufsbilder betroffen sind. Das würde bedeuten, eine solidere Allgemeinbildung für die Lehrlinge, eine größere Praxisnähe und Einbindung in die betriebliche Realität für die Schüler der Vollzeitkurse zu gewährleisten. Und es würde den Betrieben hoffentlich ein größeres Potenzial an Bewerbern für Lehrstellen bescheren, das eher ihren Anforderungen genügt. Auch eine verkürzte Lehre nach einem Oberschulabschluss könnte für manche Zielgruppen attraktiv sein.
Hannes Gamper leitet als Chefdesigner die größte Schmuckmanufaktur Südtirols. Der Familienbetrieb „Tiroler Goldschmied“ mit seinen Filialen und dem Online-Store bildet seit 1969 Lehrlinge aus. Gamper selbst hat erst mit 23 Jahren in Österreich die Lehre zum Goldschmied absolviert. Vorausgegangen waren die Kunstschule in Gröden und die Akademie für bildende Künste in München. Sein Ausbildungsportfolio ergänzt eine Ausbildung zum Diamantengutachter.
Die BAZ sprach mit Hannes Gamper
Herr Gamper, Sie bilden seit jeher in Ihrem Familienbetrieb Lehrlinge aus. Was hat sich in den vergangenen Jahren am stärksten verändert?
Hannes Gamper: Während sich früher regelmäßig Lehrlinge bei uns persönlich vorstellten, kommt das heute überhaupt nicht mehr vor. Auffallend ist auch, dass die Lehrlinge älter geworden sind. Den 15-jährigen Lehrling gibt es fast nicht mehr. Viele haben schon eine Oberschule besucht und dann abgebrochen. Umso wichtiger erscheint mir, darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft mit älteren Lehrlingen umgehen. Auch mit jenen, die bereits eine Matura haben.
Sind die Goldschmiede auch vom Lehrlingsmangel betroffen?
Die Goldschmiede sind meist Ein-Mann-Betriebe und daher nicht so betroffen. Das Handwerk aber insgesamt leidet sehr unter dem Fachkräftemangel.
Hat die Lehre ein schlechtes Image?
Dem Handwerk kommt in der Gesellschaft nicht der Stellenwert zu, der ihm gebührt. Man sieht zu wenig, wie wichtig das Handwerk ist und welche Möglichkeiten es den jungen Menschen bietet. Eine Lehre ist nicht nur ein Weg in einen Job, sondern ein Angebot zum Erwerb langfristiger Beschäftigungsfähigkeit.
Haben die Unternehmen auch Mitschuld, dass es so weit gekommen ist?
Gut aufgestellte Betriebe sind heilfroh, wenn sie Mitarbeiter mit fundierten, breit gefächerten Qualifikationen finden und fördern diese dann durch Aus-, Weiter- und Fortbildung.
Auch was das Gehalt betrifft, zahlen gute Betriebe über dem Tariflohn. Das heißt, sie kümmern sich nicht nur um die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es für den Ausbildungsberuf braucht, sondern sie kümmern sich im Grunde um die gesamte Entwicklung des Jugendlichen.
Könnten die steigenden Anforderungen an die Auszubildenden, dass immer mehr schulisches Wissen von ihnen verlangt wird, ein Grund für den Lehrlingsmangel sein?
Es ist wichtig, dass die jungen Menschen eine möglichst breitgefächerte Ausbildung erhalten. Das ist das Um und Auf für den weiteren Berufsweg. Wir brauchen verantwortungsvolle, kreative, selbständige und verlässliche Mitarbeiter. Je mehr Bildung, umso besser. Verantwortung entsteht nur durch Wissen von gebildeten Persönlichkeiten. Insofern ist Bildung die Bedingung der Möglichkeit, ein gutes und sinnvolles Leben zu führen. Ich kenne kein wichtigeres Ziel.
„Ein guter Handwerker verdient viel früher und somit auch viel länger gutes Geld“, sagt Hans Duffek. Mit rund 20 Mitarbeitern gehört „Electro Universal“ zu den mittelständischen Betrieben in Südtirol. Der Bozner Meisterbetrieb hat sich auf Elektroanlagen, unter anderem auch in Hinblick auf die alternde Gesellschaft spezialisiert. Seit kurzem arbeiten zwei Lehrlinge mit Migrationshintergrund im Betrieb mit. Hans Duffek hat nach Abschluss der Handelsschule dort seine Lehre als Elektrotechniker absolviert und 1977 den Betrieb übernommen.
Herr Duffek, Sie bilden seit jeher in Ihrem Betrieb Lehrlinge aus. Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert?
Hans Duffek: Es ist zu beobachten, dass bei den jungen Leuten heute die Freizeit einen hohen Stellenwert hat. Das bedeutet für uns als Betrieb darauf zu achten, unseren Mitarbeitern den gewünschten Freiraum zu geben, ohne dabei Abstriche bei der Kundenzufriedenheit zu machen. Auch wir suchen, wie viele unserer Kollegen, intensiv nach geeigneten Auszubildenden.
Leidet die Lehre an einem schlechten Image, dass Jugendliche die Oberschule bevorzugen? Welche Rolle spielen die Eltern bei der Wahl der Ausbildung?
Es war in der Tat so, dass die Lehre oftmals dann eine Option war, wenn eine schulische Weiterbildung nicht in Frage kam. Das klingt heute vereinzelt auch noch durch. Um dem entgegenzuwirken, sind Angebote für Praktikumsstellen sehr wichtig! Dabei kann gut vermittelt werden, dass ein Handwerksberuf sehr wohl ein hohes Maß an Wertschätzung genießt.
Sind die Unternehmen auch mitschuldig, dass es so weit gekommen ist?
Natürlich hat es Betriebe gegeben, die nicht gut ausgebildet haben. Jetzt stellt sich eher Frage, wieviel wir als gute Ausbildungsbetriebe in Zukunft unternehmen, um den Jugendlichen das Handwerk attraktiv zu machen.
Könnten die steigenden Anforderungen an die Auszubildenden, also dass immer mehr schulisches Wissen von ihnen verlangt wird, ein Grund für den Lehrlingsmangel sein?
Nein, ich bin der Meinung, dass junge Menschen diesen Anforderungen ohne weiteres gewachsen sind. Sonst würden ja nicht so viele ein Studium beginnen.
Oder sind die Jugendlichen heute zu verwöhnt, haben sie zu wenig Resilienz?
Mangel an Resilienz würde ich nicht sagen. Fakt ist, dass es sich einfach um eine andere Generation handelt, mit anderen Vorstellungen und Werten. Da sollten wir Handwerker ansetzen. Die handwerkliche Ausbildung bietet reichlich Spielraum zur Entwicklung von Talent und Können in Beruf und Lebensplanung!
„Es gibt zwei Wege, Karriere zu machen und Erfüllung zu finden, nämlich den beruflichen und den akademischen Weg. Leider denken viele, dass der eine Weg der vorzugswürdige sei“: Was entgegnen Sie diesem Denkmuster?
Es braucht für beide Wege die richtigen Voraussetzungen. Die Herausforderungen auf dem Weg, ein guter Handwerker zu werden, sind sicher nicht kleiner sind als jene, ein guter Akademiker zu werden. Allerdings ist es für einen Handwerker sehr gut möglich, nach seiner Meisterausbildung auch noch über die berufsbegleitende Matura einen akademischen Grad zu erlangen. Umgekehrt ist das viel schwieriger.
Über 100 Ausbildungsberufe gibt es in Südtirol. Werden die Jugendlichen darüber zu wenig informiert? Wissen sie zu wenig über Ausbildung, Weiterbildung, Aufstiegsmöglichkeiten usw.?
Ganz ohne Frage gibt es bei der Berufsberatung, die in den Mittelschulen gemacht wird, aus Handwerker-Sicht sehr viel Luft nach oben. So wird z. B. in der Broschüre „Wegweiser“ des Landes Südtirol auf 247 Seiten über die Berufswahl nach der Mittelschule geschrieben. Aber lediglich 27 Seiten geben Hinweise auf die Lehre bzw. auf die Möglichkeiten eines Praktikums.
Jugendliche mit geringer schulischer Vorbildung, mit Migrationshintergrund finden immer schwerer Berufe, die gute Erwerbsaussichten bieten. Was sollte sich in unserem Bildungssystem ändern?
Eine gute Schulbildung ist ohne Zweifel sehr wichtig. Im Jahr 2022 sollte aber zu allerletzt das Herkunftsland darüber entscheiden, wie gut die Erwerbsaussichten einer Person sind. Wir sollten verstärkt darauf hinarbeiten, dass für Jugendliche mit Migrationshintergrund Sprachunterricht in deutscher Sprache angeboten wird, damit die Jugendlichen dann in die deutsche Berufsschule eingeschrieben werden können.
Wie könnte man deutlich machen, dass Lehre und Studium zwei gleichwertige Wege sind?
Man müsste wohl am Gesellschaftsbild arbeiten, wo vermittelt wird, dass nur die Matura optimal auf eine erfolgreiche Berufstätigkeit vorbereitet. Dabei wird das Bild vermittelt, dass Akademiker mehr verdienen als Nicht-Akademiker. Aber die Wahrheit ist, dass z. B. in Südtirol über 90 Berufsbilder und 3000 Ausbildungsbetriebe den persönlichen Freiraum zur ganz individuellen Verwirklichung von Beruf und Lebensqualität bieten. Handwerk verbindet Traditionen und neueste Technologien, höchste Qualifizierungen und persönliches Talent, freie Kreativität und anerkannte Normen, aktuelle Nachfrage und zukunftsorientiere Lösungen. Und ganz nebenbei: ein guter Handwerker verdient viel früher und somit auch viel länger gutes Geld als ein Akademiker!
Zum Schluss – wie sah Ihr Bildungsweg aus?
Ich habe nach Abschluss der Handelsschule bei Electro Universal eine Lehre als Elektrotechniker gemacht, dann nach dem Militärdienst dort im Beruf gearbeitet und 1977 den Betrieb übernommen. Wir haben immer großen Wert auf eine solide Lehrlingsausbildung gelegt – so sind heute alle unsere Mitarbeiter bei uns auch in die Lehre gegangen. Vor einigen Jahren haben wir dann begonnen, die Weichen dafür zu stellen, dass zwei Mitarbeiter, die ebenfalls bei uns ihre Lehre gemacht haben, den Betrieb übernehmen werden.
Dr. Urban Perkmann leitet am Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO das „Amt für Studien“. Er ist verantwortlich für die Analyse der Struktur und der strategischen Herausforderungen der Südtiroler Wirtschaft. Zu seinen Schwerpunkten gehören u. a. Bildung und Sozialkapital. Die BAZ sprach mit dem Experten:
Betriebe klagen zusehends über Lehrlings- und Fachkräftemangel. Wie konnte es dazu kommen?
Urban Perkmann: Von einem Arbeitskräftemangel kann gesprochen werden, wenn die Arbeitsnachfrage dauerhaft über dem Arbeitsangebot liegt. Der Fachkräftemangel ist für viele westeuropäische Staaten schon seit langem eine Herausforderung. Nicht nur bei uns klagen Unternehmen von einer schwierigen Suche nach geeigneten Lehrlingen und Fachkräften. Dabei spielt der demografische Wandel eine nicht zu unterschätzende Rolle. Mit den geburtenschwachen Jahrgängen gibt es heute halt viel weniger Schulabgänger als früher.
Hat die Lehre ein zu schlechtes Image, dass Jugendliche die Oberschule bevorzugen? Und welche Rolle spielen die Eltern bei der Wahl der Ausbildung?
Im Unterschied zum restlichen Staatsgebiet, wo die Berufsbildung eher am unteren Ende der sozialen Skala steht, trifft das bei uns überhaupt nicht zu. Seit Jahrzehnten wird das arbeitsbezogene Lernen, das sogenannte Duale System, als ein geeignetes Modell betrachtet, weil es als äußerst erfolgreiches Mittel für den Arbeitseinstieg qualifizierter Jugendlicher und demzufolge für eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit gilt. Jugendliche lassen sich bei ihrer Berufswahl allerdings stark von ihrem sozialen Umfeld beeinflussen. Schulabgänger aus Elternhäusern, die zum Beispiel selbst keine Verbindung zum Handwerk haben und von ihren Kindern die Matura oder einen Hochschulabschluss erwarten, haben in ihrem sozialen Umfeld natürlich keine Vorbilder, die für das Handwerk werben und den Reiz sowie die Vorteile dieser Berufe anschaulich vermitteln könnten. Die Folge ist, dass Mittelschulabgänger oft nicht mal in Erwägung ziehen, eine Berufsausbildung im Handwerk zu machen. Sie denken einfach gar nicht an diese Option. Eltern muss daher die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung noch stärker als bislang vor Augen geführt werden.
Haben die Betriebe auch Mitschuld, dass es so weit gekommen ist?
Teilweise sicher auch. Gehalt, Arbeitszeiten, Qualität der Ausbildung usw. sind ein Thema, viel wichtiger sind aber Weiterbildungsperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten. Viele unserer kleinstrukturierten Betriebe haben einfach kaum Möglichkeiten und Ressourcen über Personalentwicklung nachzudenken bzw. Werbekampagnen zu starten, um geeignete Bewerber zu finden.
Über 100 Ausbildungsberufe gibt es in Südtirol. Werden die Jugendlichen darüber zu wenig informiert? Wissen sie zu wenig über Ausbildung, Weiterbildung sowie Aufstiegsmöglichkeiten in der Berufsbildung?
Informationskampagnen sind immer sinnvoll. Vor allem aber braucht es Initiativen, welche Karrierewege beschreiben, wie zum Beispiel im Handwerk attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten bis hin zur Selbstständigkeit erreicht werden können. Das Berufsziel „Unternehmer“ müsste dabei besonders hervorgehoben werden.
Was sollte sich in unserem Bildungssystem ändern?
Unsere Schulen sind gut aufgestellt. Der Lehrlings- und Fachkräftemangel ist ein gesamtwirtschaftliches Thema und als solches anzugehen. Die Durchlässigkeit zwischen den Schulsystemen, die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Berufsschüler sind zu fördern. Klar vor Augen geführt werden sollte, dass mit der Lehre am Beginn eine Entwicklungsmöglichkeit steht, vom Gesellen zum Meister bis hin in die Selbständigkeit. Wichtig erscheint mir auch, dass Jugendliche „ihren“ Bildungsweg finden: der zu ihnen passt, der ihren Stärken, Potentialen und Interessen gerecht wird. Das sogenannte „Talentcenter“, das die Handelskammer Bozen in Zusammenarbeit mit der Berufsberatung des Landes dabei ist einzurichten, wird Mittelschülern die Entscheidung zu einer auf sie zugeschnittenen Studien- und Berufswahl erleichtern, indem es sie auf ihre Interessen und Fähigkeiten testet.