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Prinzip Hoffnung

Sepp Haller ist die Erleichterung anzumerken. „Eine Lobby für Patienten im Wachkoma oder andere schwerstpflegebedürftige Menschen war uns ein Herzensanliegen“, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Ordens und Direktor von St. Josef. Gemeint ist die neue Abteilung im dritten Stock des Kur- und Pflegeheims, die genau diesen Menschen vorbehalten ist. Am 24. Februar wurde die so genannte Special Care Unit offiziell eröffnet.
von Josef Prantl

Es ist der Alptraum eines jeden von uns. Im eigenen Körper gefangen zu sein, ohne sich mitteilen zu können. Appalisches Syndrom heißt das Krankheitsbild, besser bekannt als Wachkoma. Prominentes Beispiel ist der siebenfache Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher. Wir erinnern uns an seinen schweren Skiunfall vor rund zehn Jahren. „Es sind sehr schwere Schicksalsschläge, die Familien und Angehörige oft aus heiterem Himmel treffen“, weiß Irene Platter. „In St. Josef haben wir 26 Betten für Patienten mit schweren erworbenen Hirnschädigungen, neurodegenerativen Erkrankungen und chronischen Lungenerkrankungen reserviert“, erklärt die Pflegedienstleiterin.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Ein multiprofessionelles Betreuungsteam ermöglicht eine ganzheitliche und individuelle Pflege. Es braucht viel Einfühlungsvermögen, Geduld und Professionalität in der Pflege, weiß Platter. Die Kommunikation läuft bei Menschen mit Locked-in-Syndrom nonverbal. Dafür muss man den Patienten aber gut kennen, Biografiearbeit heißt der Fachbegriff. „Die nonverbale Kommunikation ist oft der Schlüssel, um zu unseren Patienten durchzudringen“, sagt Platter. „Ein Lächeln oder eine sanfte Berührung können so viel bewirken.“ Den oft gehörten Satz „Der Patient ist nicht ansprechbar“ lässt Irene Platter nicht gelten. „Nur weil die Sprache versiegt, heißt das nicht, dass der Bewusstseinsprozess aufhört oder wir nicht mehr kommunizieren.“ Auch kleinste Signale wie Fingerzucken oder Augenbewegungen könnten wichtig sein. Um sie zu verstehen, brauche es Übung und die Bereitschaft, auch den kleinsten Wahrnehmungen zu trauen. Die Haltung, mit der Pflegende oder Angehörige einem Menschen im Koma begegnen, sei von grundlegender Bedeutung, betont die Pflegedienstleiterin. Das Team von St. Josef arbeitet eng mit der Geriatrie des Krankenhauses Meran und mit der Neurorehabilitation des Krankenhauses Sterzing zusammen. Die Deutschordensschwestern kümmern sich auch um das seelische Wohl der Patienten, Angehörigen und Mitarbeiter. Gespräche und Begleitung schaffen Raum für innere Kraft und Trost. „Wir bieten nicht nur Pflege, sondern auch Zeit für Gespräche und menschliche Nähe“, betont Schwester Consolata, die als Seelsorgerin in St. Josef tätig ist.

Ganzheitliche Betreuung mit Expertise und Herz
Der Deutsche Orden hat Erfahrung in der Pflege schwerstkranker Langzeitpatienten. Sepp Haller verweist auf das Leitmotiv des Ordens „Helfen und Heilen“. 1990 wurde unter Prior Peter Lantschner ein Vertrag mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb abgeschlossen, um im Pflegeheim St. Anna Lana 40 Betten für chronisch Kranke zu führen. Seither hat sich die Einrichtung als erstes Zentrum in Südtirol für die Pflege von Menschen im Wachkoma und mit besonders pflegeintensiven Krankheitsbildern einen Namen gemacht.

Ressortübergreifende Zusammenarbeit
Special Care Units sollen landesweit ausgebaut werden. „Insgesamt sind in ganz Südtirol 120 Intensivbetten geplant“, bestätigt Gesundheitslandesrat Hubert Messner. Und die Kosten für die Intensivpflege werden zur Gänze vom Land übernommen. Sepp Haller betont einmal mehr die greifende Zusammenarbeit im Gesundheits- und Sozialbereich. Erst durch den Schulterschluss von Rosmarie Pamer und Hubert Messner konnten die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen werden. Bisher blieben die Angehörigen auf einem Teil der Kosten sitzen. Jetzt übernimmt sie das Land zur Gänze.

Special Care Units in allen Landesteilen
Im Langzeitpflegeheim Firmian bei Bozen sind derzeit 40 Patienten mit schweren neurologischen Krankheitsbildern wie Wachkoma untergebracht. Der Gesamtbedarf an solchen Plätzen liegt jedoch landesweit bei ca. 120 Plätzen. Deshalb werden in zwei weiteren Pflegeheimen so genannte „Special Care Units“ für Patienten eingerichtet, die aufgrund nicht akuter, aber sehr komplexer Krankheitsbilder intensiv betreut werden müssen – unter anderem mit Fachärzten, die ständig vor Ort sind. „Damit entlasten wir die Angehörigen dieser Patienten, aber auch andere Pflegeheime, in denen diese Patienten derzeit großteils untergebracht sind“, so Landesrätin Pamer. Neben dem Langzeitkrankenhaus Firmian wurde die zweite Pflegestation in St. Josef in Meran eingerichtet. In welchem Pflegeheim die dritte Station eingerichtet wird, ist derzeit noch offen. Das Land ist auf der Suche nach einem geeigneten Standort, der sicherlich in der östlichen Landeshälfte liegen wird. „In St. Josef wollen wir auch den schwerstpflegebedürften Menschen mit all seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen wahrnehmen und in der ganzheitlichen Pflege durchscheinen lassen: Es ist für alles gesorgt, du bist aufgehoben“, so Sepp Haller abschließend.

„Die Arbeit auf der Station macht man mit dem Herzen“

Wachkomapatienten sind nur scheinbar bewusstlos. Sie können augenscheinlich nur sehr wenig mit ihrer Umwelt kommunizieren. Doch vieles deutet darauf hin, dass manche Patienten mehr wahrnehmen als bisher angenommen. Irene Platter leitet das Pflegeteam auf der Spezialstation in St. Josef.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Pflege von Wach­komapatienten oder
Patienten mit schwersten neurologischen Beeinträchtigungen?

Eine der größten Herausforderungen bei der Pflege von Wachkomapatienten und Menschen mit schwersten neurologischen Beeinträchtigungen besteht darin, ihre individuellen Ressourcen zu erkennen, zu erhalten oder sogar zu verbessern. Es erfordert ein hohes Maß an Empathie, Geduld und fachlichem Wissen, um nonverbale Signale wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Unsere Patienten sind übrigens keineswegs nur ältere Menschen. Viele kommen nach z.B. schweren Unfällen zu uns. Unsere jüngste Patientin ist aktuell 28 Jahre alt.

Wie arbeiten Sie mit Ärzten, Therapeuten und Angehörigen zusammen, um die bestmögliche Betreuung zu gewährleisten?
Die bestmögliche Betreuung unserer Patienten basiert auf einer engen Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern des interprofessionellen Teams. Dazu zählen neben dem Pflegeteam die behandelnden Ärzte und Therapeuten aus der Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie. Gemeinsam erarbeiten wir individuelle Therapie-, Pflege- und Rehabilitationspläne, die genau auf die Bedürfnisse und den Bedarf jedes Einzelnen abgestimmt sind. Durch regelmäßige Besprechungen, Fallbeispiele und einen offenen Austausch im Team schaffen wir es, auch herausfordernde Situationen zu meistern. Enorm wichtig sind dabei auch die Angehörigen und Freunde der Heimbewohner. Sie sind für uns wie eine Schatztruhe, die wertvolle Informationen enthält: Persönliche Vorlieben, Routinen und Lebensgeschichten, die uns helfen, die Pflege und Betreuung individuell und den Bedürfnissen entsprechend zu gestalten.

Die tägliche Arbeit auf der Station ist extrem fordernd und verlangt eine hohe physische und emotionale Belastbarkeit. Die Patienten müssen rund um die Uhr betreut werden. Wie bewältigen Sie und Ihr Team das?
Die Arbeit auf der Station macht man mit dem Herzen – das ist die Grundvoraussetzung für diesen Beruf. Die Kollegen, die hier tätig sind, haben sich bewusst für diese Arbeit entschieden und bringen neben ihrer fachlichen Qualifikation auch eine große Portion Empathie und Engagement mit. Wir tauschen uns regelmäßig im Team aus, um uns zu unterstützen und schwierige Situationen gemeinsam zu bewältigen. Wenn notwendig, holen wir uns auch externe Hilfe. Ein guter Ausgleich in der Freizeit ist dabei ebenfalls wichtig, um die eigene Energie aufzuladen und langfristig belastbar zu bleiben. Diese Mischung aus Leidenschaft für die Arbeit, einem starken Teamzusammenhalt und bewusster Selbstfürsorge hilft uns, auch die anspruchsvollen Herausforderungen zu meistern.

Das persönliche Schicksal
Vor einem Jahr erlitt Karl Folie aufgrund einer Lungenentzündung mit Blutvergiftung eine schwere Hirnblutung, Da er vorher eine Aspirintablette genommen hatte, konnte wegen der Blutgerinnung erst verzögert operiert werden. Nach einer langen Zeit auf der Intensivstation, ist Kari, wie ihn seine Schwester liebevoll nennt, im Wachkoma. Im Gespräch mit Verena Folie aus Tirol.

Frau Folie, wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass Ihr Bruder in ein Wachkoma gefallen ist?
Verena Folie: Es war ein Schock für uns alle. Kari war so ein lustiger, hilfsbereiter und herzlicher Mensch. Wir sind täglich zu ihm nach Bozen in die Intensivstation gefahren, unser Vater und unsere Tante immer mit dabei. Leider hat mein Vater das nicht mehr verkraftet. Ihm hat das so leid getan und es hat ihm auf die Gesundheit geschlagen, sodass er nach 2 Monaten plötzlich verstarb.

Wie sieht Ihr Alltag aus, seit Ihr Bruder im Wachkoma ist?
Der Alltag hat sich für mich sehr verändert, ich habe die Vormundschaft übertragen bekommen, dadurch entstehen sehr viele Pflichten und Arbeiten, die immer wieder zu erledigen sind. Ich bin bei jedem Termin im Krankenhaus mit dabei und ich bemühe mich, meinen Bruder täglich zu besuchen und mit ihm zu sprechen, zu erzählen und mit ihm zu lachen. Wenn ich mal nicht Zeit habe, ihn zu besuchen, dann weiß ich, dass er im Heim nicht alleine ist. Es kümmern sich alle hervorragend um ihn, das ganze Team vom St. Josef ist immer zur Stelle und für Kari da, mittlerweile sind es auch Angehörige von anderen Patienten, die sich um Kari kümmern.

Haben Sie das Gefühl, dass er Sie wahrnimmt ?
Ja, seit er im St. Josef ist, macht er laufend Fortschritte. Er versteht alles was man ihm sagt, er hört aufmerksam zu und gibt mit einer Hand Antwort bzw. Daumen hoch. Wenn er das Gespräch lustig findet, lacht er aus ganzem Herzen – das ist so schön. Doch wenn er etwas hört, was ihm nicht gefällt, dann wird er nachdenklich und manchmal weint er.

Wie gehen Sie mit den emotionalen Herausforderungen um?
Natürlich gibt es immer wieder Situationen, wo einem fast der Mut verlässt. Aber irgendjemand steht immer hinter mir und gibt mir Kraft, Hoffnung und Mut. Ich kann bei der Arbeit jederzeit gehen. Das ist nicht selbstverständlich. Die Mitarbeiter von St. Josef sind immer nett und hilfsbereit. Sie kümmern sich um Kari und auch um uns, geben uns Tipps und Infos und so hat man immer wieder Kraft und Lust auf die Herausforderungen, die anstehen.

Was gibt Ihnen Hoffnung, und welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?
Kari bekommt jetzt 3 Wochen Reha bei Dr. Saltuari. Das gibt mir Hoffnung, dass er wieder einen Fortschritt machen kann. Ich danke auch der Politik, dass sie sich für solche Einrichtungen eingesetzt hat und diese finanziell unterstützt, wo Menschlichkeit und eine gute Pflege geboten wird. Wo den Patienten geholfen wird und ihnen ihr schweres Schicksal erträglicher gemacht wird.